Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
dich.«
Assunta lächelte, als sie ihn das sagen hörte. »Ich bin froh, daß du mich verstehst.«
Da er keine weiteren Fragen hatte, dankte Brunetti für ihren Besuch und erkundigte sich, ob sie noch etwas auf dem Herzen habe.
»Wenn du das nur ins reine bringst«, bat sie und wirkte plötzlich um Jahre jünger.
»Ich will es versuchen.« Nachdem er sich noch die Nummer ihres telefonino notiert hatte, stand Brunetti auf.
Er brachte Assunta hinunter und begleitete sie bis hinaus auf die Uferstraße. Die Luft hatte sich deutlich erwärmt in den paar Stunden, seit er ins Büro gekommen war. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, wandte Assunta sich Richtung Santi Giovanni e Paolo, von wo aus die Boote nach Murano verkehrten. Brunetti blieb noch ein paar Minuten auf der riva, und während sein Blick über den Garten am jenseitigen Ufer schweifte, durchforschte er sein Gedächtnis nach geeigneten Kontaktpersonen. Dann kehrte er in die Questura zurück und ging in den Bereitschaftsraum, wo er, wie erhofft, auf Pucetti traf.
Der junge Polizist schnellte hoch, als sein Vorgesetzter hereinkam. »Guten Morgen, Commissario«, grüßte er. War das Sonnenbräune in seinem Gesicht? Brunetti hatte die Urlaubsgesuche der Mitarbeiter für die Osterferien abgezeichnet, konnte sich aber nicht mehr erinnern, ob Pucettis Name dabeigewesen war.
»Hören Sie, Pucetti«, sagte er und trat näher an dessen Schreibtisch. »Sie haben doch Familie auf Murano, nicht wahr?« Er wußte nicht, wieso sein Gedächtnis gerade diese Information gespeichert hatte, war sich seiner Sache aber trotzdem ziemlich sicher.
»Ganz recht, Commissario. Tanten und Onkel und drei Cousins.«
»Arbeitet von denen jemand in den fornaci?«
Er sah, wie Pucetti im Geiste die Liste seiner Verwandten durchging. »Zwei davon«, sagte er schließlich.
»Und taugen die als Informanten?« Brunetti brauchte nicht zu erläutern, daß es ihm mehr auf die Diskretion der Betreffenden ankam als auf die Kenntnisse, über die sie eventuell verfügten.
»Der eine schon«, sagte Pucetti.
»Gut. Dann möchte ich, daß Sie ihn nach Giovanni De Cal fragen. Ihm gehört dort eine fornace. «
»Ja, auf Sacca Serenella. Die kenne ich, Commissario.«
»Und den Besitzer auch?« fragte Brunetti.
»Nein, Commissario, bedaure. Aber ich habe von ihm gehört. Möchten Sie irgendwas Bestimmtes wissen?«
»Also dieser De Cal hat einen Schwiegersohn, den er nicht leiden kann und den er womöglich bedroht hat. Mich interessiert, ob man ihm zutraut, daß er tätlich wird, oder ob er bloß Wind macht. Und was von dem Gerücht zu halten ist, De Cal wolle vielleicht seine fornace verkaufen.«
»Verstanden, Commissario«, antwortete Pucetti, und Brunetti sah ihm an, daß er sich zusammennehmen mußte, um nicht zu salutieren. »Ist es eilig?« fragte der junge Polizist. »Soll ich meinen Cousin gleich anrufen?«
»Nein, wir wollen die Sache so unauffällig wie möglich angehen. Ich schlage vor, Sie gehen nach Hause, tauschen Ihre Uniform gegen Zivilkleidung, fahren raus auf die Insel und statten Ihrem Cousin einen Besuch ab. Ganz zwanglos - ich möchte nicht, daß es so aussieht, als ob ...« Brunetti ließ den Satz in der Schwebe.
»Als ob es ist, wonach es aussieht?« fragte Pucetti verschmitzt.
»Genau«, entgegnete Brunetti. »Zumal ich selber noch im dunkeln tappe.«
7
L 'uomo di notte arbeitete, wie der Name schon sagte, bei Nacht, weshalb Brunetti damit rechnen konnte, ihn untertags zu Hause anzutreffen. Da es erst kurz nach elf war und die späten Vormittagsstunden zu den schönsten eines Frühlingstages gehörten, beschloß Brunetti, sich zu Fuß auf den Weg nach Castello zu machen. Wo er in Erfahrung bringen wollte, ob Giorgio Tassini bereit war, De Cals Äußerungen zu wiederholen. Zwar kam ihm der Gedanke, daß er womöglich im Begriff sei, sich jenes sträflichen Vergehens, genannt abuso d'ufficio, schuldig zu machen, denn er nutzte ja zweifellos seine Amtsgewalt, um in einer Sache zu ermitteln, die nur ihn persönlich, Polizei und Justiz dagegen noch gar nicht interessierte. Da jedoch als einzige Alternative zu einem sonnigen Spaziergang hinunter zur Via Garibaldi die Rückkehr ins Büro drohte, wo ihn die Personalakten der zur Beförderung anstehenden Beamten erwarteten, schlug Brunetti alle Bedenken in den Wind und eilte der Riva degli Schiavoni zu.
Auf der Uferpromenade wandte er sich nach links in Richtung Sant'Elena. Bald spürte er, wie die Sonne ihm die
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