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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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einen Video-Poker-Automaten mit Ein-Euro-Münzen. Wobei er einem monotonen Rhythmus folgte: Geld einwerfen, eine Taste drücken, das blinkende Resultat abwarten, wieder die Tasten bearbeiten, abermals auf das Ergebnis warten und nach zwei hastigen Schluck Rotwein den nächsten Einsatz wagen.
    Die kamen alle nicht in Frage, ebensowenig wie ein junger Mann neben dem Pokerspieler, der offenbar einen gingerino trank. Von den vier Tischen an der Rückwand war einer von drei Damen besetzt, jede mit einem Teegedeck vor sich. Sie reichten Fotos reihum, die ihnen so aufrichtige Begeisterungsrufe entlockten, daß es sich dabei wohl eher um Baby- als um Urlaubsbilder handelte. Am letzten Tisch, im Eck hinter der Theke, saß ein Mann, der in Brunettis Richtung schaute. Als Brunetti ihn ansteuerte, hob er mit der Linken sein Wasserglas und prostete Brunetti zu.
    Der Mann erhob sich, streckte die Hand aus und sagte: »Tassini.« Er war hochgewachsen, etwa Mitte dreißig, mit großen, weit auseinanderstehenden dunklen Augen und einer Nase, die zu klein schien für den ihr verbleibenden Platz. Ein ungestutzter, graugesprenkelter Bart bedeckte seine hohlen Wangen, ohne sie jedoch verbergen zu können. Brunetti kannte dieses Gesicht von unzähligen Ikonen: Es war das des leidenden Christus. »Commissario Brunetti?«
    Brunetti schüttelte die dargebotene Hand und dankte Tassini für sein Kommen. »Was möchten Sie trinken?« erkundigte sich Tassini, als Brunetti Platz genommen hatte, und machte dem Barmann ein Zeichen.
    »Wenn ich schon mal hier bin«, antwortete Brunetti lächelnd, »dann sollte ich wohl den Cappuccino probieren, meinen Sie nicht?« Tassini nickte und rief dem Barmann die Bestellung zu. Eine Weile schwiegen beide.
    Endlich machte Brunetti den Anfang. »Wie ich schon am Telefon sagte, Signor Tassini, würden wir gern mit Ihnen über Ihren Chef, Giovanni De Cal, reden.« Und bevor Tassini nachfragen konnte, fügte Brunetti tiefernst hinzu: »Und natürlich über Ihre Beschwerde.«
    »Ihr fangt also langsam an, mir zu glauben, wie?« warf Tassini ein.
    »Jedenfalls interessieren wir uns sehr für das, was Sie zu berichten haben«, antwortete Brunetti. Nähere Ausführungen blieben ihm erspart, da in diesem Moment der Barmann seinen Cappuccino brachte. Wie erwartet, hatte man den Milchschaum mit so gekonntem Schwung zugegeben, daß er an der Oberfläche ein Herz bildete. Brunetti riß ein Tütchen Zucker auf, gab ihn in die Tasse, rührte um und brach dem Kaffee das Herz.
    »Und was ist mit meinen Briefen?« fragte Tassini.
    »Auch deretwegen bin ich hier, Signor Tassini«, beteuerte Brunetti und probierte einen Schluck. Aber der Kaffee war noch zu heiß, und so stellte er die Tasse zum Abkühlen auf die Untertasse zurück.
    »Haben Sie die Briefe gelesen?«
    Brunetti setzte eine treuherzige Miene auf. »Normalerweise und falls diese Unterredung Teil einer offiziellen Ermittlung wäre, würde ich jetzt lügen und Ihre Frage bejahen.« Ein Geständnis, das dem Commissario scheinbar recht peinlich war. »Doch da wir hier ganz unter uns sind, will ich offen mit Ihnen sein.« Bevor Tassini etwas erwidern konnte, fuhr er fort. »Ihre Briefe werden von einer anderen Abteilung bearbeitet. Aber Kollegen, die den Inhalt kennen, haben mir darüber berichtet, und einige Auszüge sind auch an uns weitergeleitet worden.«
    »Aber die Briefe waren an Sie adressiert«, beharrte Tassini. »Das heißt, an die Polizei.«
    »Ja.« Brunetti nickte zustimmend. »Aber wir sind Kriminalbeamte, und solche Vorgänge werden nicht automatisch uns zugestellt. Ihre Briefe gingen an die Beschwerdestelle, und dort wurde eine Akte angelegt. Nur, bevor die bearbeitet und an diejenigen weitergeleitet wird, die dann die eigentlichen Ermittlungen führen, können Monate vergehen.« Brunetti sah den qualvollen Ausdruck in Tassinis Gesicht, sah ihn zum Einspruch ansetzen und fügte, den Blick abermals in gespielter Verlegenheit senkend, hinzu: »Oder sogar noch länger.«
    »Aber Sie wissen von den Briefen?«
    »Ich habe, wie gesagt, davon gehört, wenn auch nur über Dritte.« Brunetti, der Tassini über den Tisch hinweg ansah, riß plötzlich die Augen auf, als sei ihm eine Erleuchtung gekommen. »Wären Sie bereit, mir den Inhalt in Ihren eigenen Worten zu schildern, damit ich mir ein klares Bild machen kann? Das könnte Ihr Verfahren erheblich beschleunigen.«
    Als er die Erleichterung in Tassinis Blick aufschimmern sah, kam Brunetti sich fast schäbig

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