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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Anwesenheit in der Trattoria mit keinem Wort erwähnt hatte. »Ich habe ihn gefragt, ob man diesen Menschen ernst nehmen muß.«
    »Und? Was hat er gesagt?«
    »Er wollte die Frage nicht beantworten.«
    »Haben Sie sonst noch mit jemandem gesprochen?« verlangte Patta zu wissen.
    Da die Wahrheitsstrategie sich offenbar nicht auszahlte, beschloß Brunetti, auf den erprobten Pfad der lauteren Täuschung zurückzukehren, und antwortete mit »Nein«.
    Pattas Informationen stammten von jemandem, der sie in Nannis Trattoria gesehen hatte; also wußte er vielleicht nichts von Brunettis Treffen mit Bovo und Tassini.
    »Demnach gibt es keine Bedrohung?« forschte Patta.
    »Ich würde sagen, nein. Dieser Giovanni De Cal ist zwar jähzornig, aber ich denke, seine Ausfälle beschränken sich aufs Verbale.«
    »Und was nun?« fragte Patta.
    »Nun kümmere ich mich wieder um die Probleme mit den Zigeunern«, antwortete Brunetti und tat zerknirscht.
    »Roma«, korrigierte ihn Patta.
    »Genau«, bekräftigte Brunetti. Und mit diesem Tribut an Pattas politisch korrekten Sprachgebrauch verließ er das Büro seines Vorgesetzten.

12
    K urz nach eins rief Brunetti bei sich zu Hause an, um Paola zu sagen, daß er nicht zum Mittagessen käme. Was sie so gelassen hinnahm, daß es ihn kränkte. Sobald sie jedoch nachschickte, sie sei, weil er vom Büro aus anriefe und sich bis jetzt nicht gemeldet habe, bereits von selbst auf diese traurige Schlußfolgerung gekommen, da berührte ihre nachträglich eingestandene Enttäuschung ihn seltsam tröstlich, egal, wie ironisch Paola sie verbrämte.
    Als nächstes telefonierte er mit Assunta De Cal, die er auf ihrem Handy erreichte, und bat sie um ein Treffen auf Murano. Nein, beteuerte er, wegen der Drohungen ihres Vaters habe sie nichts zu befürchten: Er sehe darin keine ernsthafte Gefahr. Trotzdem würde er sich gern mit ihr unterhalten, falls sich das einrichten ließe.
    Assunta erkundigte sich, wie lange er brauchen würde. Brunetti bat sie, einen Moment zu warten, trat ans Fenster und sah Foa, mit einem anderen Polizisten plaudernd, an der riva stehen. Er ging zum Telefon zurück und erklärte Assunta, er könne in zwanzig Minuten dort sein. Nachdem sie versprochen hatte, in der fornace auf ihn zu warten, legte er auf.
    Doch als der Commissario fünf Minuten später aus dem Hauptportal der Questura kam, waren weit und breit weder Foa noch sein Boot zu sehen. Der Posten am Eingang antwortete auf seine Frage, Foa habe den Vice-Questore zu einer Sitzung bringen müssen. Worauf Brunetti nichts anderes übrigblieb, als zu Fuß zu den Fondamenta Nuove zu gehen und dort auf die Linie 41 zu warten.
    Auf diese Weise brauchte er über vierzig Minuten bis zur Fornace De Cal. In den Geschäftsräumen fand er Assunta nicht, und aus dem Büro, wo laut Türschild ihr Vater residierte, antwortete auch niemand auf sein Klopfen. Also verließ Brunetti diesen Trakt und begab sich über den Hof zu den Werkstätten, in der Hoffnung, Assunta dort anzutreffen.
    Die metallene Schiebetür zu dem ersten großen Backsteingebäude stand gerade so weit offen, daß eine einzelne Person rein- oder rausschlüpfen konnte. Den eintretenden Brunetti umfing eine Dunkelheit, an die seine Augen sich erst gewöhnen mußten; dann aber starrte er wie gebannt ans andere Ende der schummrigen Halle, fühlte er sich doch unversehens in ein Gemälde von Caravaggio versetzt. Vor dem offenen Schlund eines runden Brennofens verharrten, vom spärlichen Tageslicht, das durch die Dachluken hereinsickerte, und dem flackernden Feuerschein schemenhaft beleuchtet, sechs Männer in malerischer Pose. Im nächsten Moment regten sie sich, und das Bild zerfiel in jenen ausgeklügelten Bewegungsablauf, der Brunetti von Kind auf im Gedächtnis geblieben war.
    Zwei wuchtige Öfen standen an der rechten Wand, doch der forno di lavoro thronte frei inmitten der Halle. Zur Zeit waren offenbar bloß zwei Teams im Einsatz; jedenfalls sah Brunetti nur zwei maestri, die jeder einen Klumpen geschmolzenes Glas an der Spitze ihrer canne kreisen ließen. Einer schien an einer Schale zu arbeiten, denn während er die Stange drehte und wendete, formte sich aus dem zähflüssigen Klumpen mit Hilfe der Zentrifugalkraft allmählich eine Art Suppenteller, der bald flach wie eine Pizza wurde. Im Geiste fühlte Brunetti sich zurückversetzt in die fornace, in der vor Jahrzehnten sein Vater gearbeitet hatte - nicht als Meister natürlich, sondern als einfacher Gehilfe. Und

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