Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
erscheinen. »Seither hat sich vermutlich eine Menge geändert.«
»Weniger, als man glauben möchte.« Assunta trat an ihm vorbei und winkte den Männern zu, die sich in ihren eingespielten Hantierungen vor den Öfen nicht stören ließen. »Das ist einer der Gründe, warum ich diesen Beruf so liebe«, sagte sie, nun wieder lebhafter. »Bis jetzt hat noch niemand eine Herstellungsmethode gefunden, die besser wäre als die, welche wir seit Jahrhunderten praktizieren.«
Sie neigte sich zu Brunetti hinüber und legte ihm die Hand auf den Arm, um sich seiner vollen Aufmerksamkeit zu vergewissern. »Siehst du, was er da macht?« fragte sie und deutete auf den zweiten maestro, der gerade vom Schmelzofen kam und sich breitbeinig hinter einen kleinen, am Boden plazierten Holzeimer stellte. Nun blies er aus Leibeskräften ins Mundstück seiner canna, bis der Glasklumpen an deren Spitze sich aufblähte. Mit der Anmut eines Tambourmajors schwenkte er die glühende Masse so lange hin und her, bis sie genau über dem Eimer landete, in den er sie mit vorsichtigen Senk- und Drehbewegungen einpaßte. Worauf er wiederholt so kräftig ins Mundstück blies, daß jedesmal ein Funkenkranz aus dem Eimer emporstieg.
Als der maestro die Stange wieder herauszog, hatte der unförmige Glasklumpen sich zu einem makellosen Zylinder gewandelt, in dem bereits die flachbödige Vase zu erkennen war, die daraus werden sollte. »Rohstoffe, Werkzeuge, Verfahren - alles noch genauso wie vor Hunderten von Jahren«, kommentierte Assunta.
Brunetti wandte ihr den Blick zu und fand sein Lächeln in ihren Augen gespiegelt. »So eine dauerhafte Tradition ist etwas Wunderbares, nicht?« Er war nicht ganz sicher, ob er das rechte Wort getroffen hatte, aber sie nickte, hatte ihn also offenbar verstanden.
»Abgesehen davon, daß wir die Brenner inzwischen mit Gas befeuern, hat sich nichts verändert.«
»Bis auf diese Bestimmungen, die Marco befürwortet?« forschte Brunetti.
Assuntas Gesichtsausdruck wechselte, und sie wurde ernst. »Soll das ein Scherz sein?«
Er hatte sie gewiß nicht kränken wollen. »Nein, durchaus nicht«, beteuerte er hastig. »Das mußt du mir glauben. Ich weiß nicht, an welche Bestimmungen du gerade denkst, aber die Auflagen zum Umweltschutz, für die dein Mann sich ja wohl in erster Linie einsetzt, waren bestimmt dringend nötig, wenn nicht gar überfällig.«
»Marco sagt, es ist zu wenig, was man erreicht hat, und es kam zu spät«, versetzte sie mit leiser Stimme.
Dies war nicht der geeignete Ort für ein solches Gespräch, und um die Atmosphäre, die sie mit ihren letzten Worten heraufbeschworen hatte, etwas aufzulockern, rückte Brunetti ein Stück weit von ihr ab, näher zu den Handwerkern hin. »Wie viele Leute beschäftigt ihr hier?« fragte er.
Anscheinend froh über den Themenwechsel, begann Assunta die Belegschaft an den Fingern abzuzählen. »Zwei piazze aus jeweils Meister, Gehilfe und Lehrling, das macht sechs; dazu kommen drei Mann in der Schleifwerkstatt, plus die beiden unten am Anlegeplatz, die für Verpackung und Auslieferung zuständig sind, macht elf; ach ja, und dann noch l'uomo di notte: also insgesamt zwölf, glaube ich.«
Er sah zu, wie sie noch einmal mit den Fingern addierte. »Ja, zwölf. Und mein Vater und ich.«
»Euer uomo di notte, das ist doch Tassini, nicht wahr?«
»Du hast mit ihm gesprochen?«
»Ja, und er meinte, dein Mann ist nicht in Gefahr, es sei denn, er käme hierher, in die fornace.« Als Brunetti ihren ängstlichen Blick auffing, fügte er hinzu: »Aber er kommt doch nie in den Betrieb, oder?«
»Nein, inzwischen nicht mehr«, bestätigte Assunta, und es klang enttäuscht. Was Brunetti gut verstehen konnte. Er hatte ja mitbekommen, wie sehr sie an ihrem Mann, aber auch an ihrer Arbeit hing. Eine unüberwindliche Kluft zwischen beiden - ganz gleich, ob selbst gewählt oder von außen verfügt - mußte für sie schmerzlich sein.
»Kam er denn früher?« fragte Brunetti.
»Vor unserer Heirat schon, ja. Er ist schließlich Ingenieur; da interessieren ihn natürlich Vorgänge wie das Mischen der Rohstoffe, die Herstellung und Verarbeitung von Glas nebst dem ganzen Drum und Dran.« Wie um sich der eigenen Begeisterung für die handwerkliche Tradition zu vergewissern, spähte sie zu den Männern hinüber, die sich durch die Unterhaltung der beiden nicht im geringsten aus ihrem Rhythmus bringen ließen: Der erste maestro arbeitete bereits an einem neuen Werkstück, das allem
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