Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
für eine angehende Kunsthistorikerin«, wandte Chiara ein.
»Aber der Ramschladen im Correr-Museum genausowenig«, gab ihr Bruder zurück.
Brunetti, der die letzte Ausstellung im Correr gesehen und für den Katalog über vierzig Euro hatte berappen müssen, hätte den Museumsshop kaum als Ramschladen bezeichnet, doch das behielt er für sich und fragte statt dessen: »Und was ist mit Fulvio?«
Raffi musterte seinen Fisch, und Chiara nahm sich noch einmal Spinat nach, obwohl sie ihr Besteck zuvor schon ordentlich auf dem Teller abgelegt hatte. Keins der Kinder antwortete, und die Situation wurde langsam peinlich. Brunetti tat, als habe er nichts bemerkt, und sagte: »Er wird schon was finden. Ist doch ein aufgeweckter Kerl.« Und an Paola gewandt: »Gibst du mir bitte mal den Spinat? Das heißt, falls Chiara was davon übrigläßt.«
Paola reichte ihm nicht nur die Schüssel, sondern überspielte zugleich elegant das betretene Schweigen, mit dem die Kinder auf Brunettis Frage nach Fulvio reagiert hatten. »Meinen Studenten ergeht es ganz genauso«, begann sie in unbefangenem Plauderton. »Die schreiben ihre Dissertation, werden promoviert, dürfen sich dottore nennen und sind dann heilfroh, wenn sie als Aushilfslehrer in einem Kaff wie Dolo oder Burano unterkommen.«
»Klempner«, warf Brunetti ein und hob, um Aufmerksamkeit heischend, die Hand. »Das ist ein Beruf, zu dem ich meinen Kindern rate: Klempner werden immer gesucht. Man trifft eine Menge interessanter Leute und wird mit Aufträgen überhäuft. Dieses ewige Studieren, in Bibliotheken rumhocken und über große Ideen debattieren - das bringt doch nichts, außerdem ist es schlecht fürs Gehirn. Nein, ich plädiere für einen handfesten Beruf: viel frische Luft, anständige Bezahlung, ehrliche, harte Arbeit.«
»Oh, papà!« Chiara hatte ihn wieder einmal als erste durchschaut. »Manchmal bist du wirklich zu albern.« Brunetti stellte sich ahnungslos und versuchte ihr einzureden, sie solle die Mathematik sausen lassen und lieber schweißen lernen. Der Nachtisch beendete seine komische Einlage, aber da war der Schatten, den er mit seiner Frage nach Fulvio heraufbeschworen hatte, auch schon verscheucht.
Sie lagen schon im Bett, als Brunetti - vom Tag erschöpft - Paola fragte: »Was ist denn mit Fulvio?«
Das Licht war bereits aus, und daher spürte er mehr, als daß er sah, wie sie mit den Schultern zuckte. »Ich tippe auf Drogen«, sagte sie.
»Du meinst, er ist süchtig?«
»Kann sein«, antwortete sie, doch es klang alles andere als überzeugt.
»Dann dealt er?« Brunetti drehte sich zu ihrer schemenhaften Silhouette hin.
»Das schon eher.«
»Armer Junge«, sagte Brunetti, »arme Menschheit.« Er legte sich wieder auf den Rücken und starrte zur Decke empor. »Hast du irgendeine Ahnung, ob ...« begann er und stockte. In welchen Dimensionen mochten sich die Geschäfte des Jungen bewegen? Ob er sich von Berufs wegen dafür interessieren sollte? Und wer mochten Fulvios Kunden sein? Die letzte Frage weckte jenen Wurm des Zweifels, der stets darauf lauerte, an einem elterlichen Herzen zu nagen.
»Falls du wissen möchtest, ob Raffi gefährdet ist, so kann ich dich beruhigen. Unser Sohn nimmt keine Drogen.«
Der Polizist in Brunetti wollte wissen, wieso Paola das behaupten konnte: Wer und wie verläßlich war ihre Quelle? Hatte sie Raffi selbst befragt, oder hatte er von allein ausgepackt, oder berief sie sich auf das Zeugnis eines Dritten, der den Fall kannte und die Verdächtigen? Er starrte zur Decke, und während er hinaufsah, wurde eins der Lichter, die von der anderen Seite der calle hereinschienen, gelöscht, und der Raum versank in tröstliche Dunkelheit. Wie töricht, wie fahrlässig, sich auf das Wort einer Mutter zu verlassen, wenn es um die Unschuld ihres einzigen Sohnes ging.
Er starrte zur Decke und traute sich nicht, sie ins Kreuzverhör zu nehmen. Durchs Fenster, das einen Spaltbreit offenstand, schlugen die Glocken von San Marco Mitternacht - Schlafenszeit. In das Geläute hinein hörte er Paola sagen: »Laß gut sein, Guido. Sorg dich nicht um Raffi.« Erleichtert schloß er für einen Moment die Augen, und als er sie wieder aufschlug, war es draußen schon wieder hell.
23
A m nächsten Morgen, auf dem Weg zur Questura, machte Brunetti sich Gedanken darüber, wie er bei Signorina Elettra das Thema Fasano anschneiden könnte, ohne sich neuen Ärger einzuhandeln. Was sie an dem Mann schätzte, war ihm schleierhaft:
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