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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Tochter?«
    »Wahrscheinlich, ja.«
    »Und weiter?«
    Palazzi warf die nur halb gerauchte Zigarette weg, trat sie aus und verscharrte auch sie im Boden, bis keine Spur mehr übrig war. »Tassini kam erst vor zwei Monaten zu uns. Aber wir kannten ihn alle, weil er schon jahrelang drüben bei De Cal gearbeitet hatte. Und als dann unser Nachtwächter in Rente ging, da hat der Chef wohl gedacht, es wäre ganz praktisch, sich Tassini mit De Cal zu teilen. Gibt ja schließlich nicht allzuviel zu tun für den uomo di notte.« Und mit gedämpfter Stimme fuhr er fort: »Wir wußten natürlich von seiner Tochter. Aber wie ich Ihnen schon gestern sagte: Es hatte niemand Lust, ihm zuzuhören oder mit ihm zu debattieren oder sich auf seine Ideen einzulassen.« Brunetti nickte zum Zeichen, daß er diese Zurückhaltung verstand, und auch um Palazzi die Hemmungen davor zu nehmen, so bald nach seinem Tod über Tassini zu tratschen.
    Palazzi ließ eine nachdenkliche, vielleicht auch respektvolle Pause verstreichen, bevor er hinzufügte: »Trotzdem hat Giorgio uns allen irgendwie leid getan.« Auf Brunettis fragenden Blick hin fuhr er fort: »Schon weil er so ungeschickt war. In der Werkstatt praktisch nicht zu gebrauchen. Aber der uomo di notte muß ja auch bloß die Öfen auffüllen, ein Auge auf die miscela haben und sie, wenn nötig, umrühren.«
    »Fällt Ihnen sonst noch was ein, wonach er sich erkundigt hat?« fragte Brunetti.
    Palazzi überlegte. Er versenkte die Hände in den Taschen und betrachtete seine Schuhspitzen. Endlich sah er wieder zu Brunetti auf und sagte: »Vor ungefähr vier Wochen, da hat er mich nach dem Installateur gefragt.«
    »Was wollte er denn über den wissen?«
    »Wer er sei - der, der hier die Werkstatt betreut - und wann er das letzte Mal bei uns war.«
    »Und konnten Sie das beantworten?« Als Palazzi nickte, forschte Brunetti weiter: »Was haben Sie Tassini erzählt?«
    »Daß Fasano mit der Klempnerei Adil-San zusammenarbeitet - die haben ihr Geschäft in der Nähe der Misericordia. Ihr Boot holt den Sondermüll ab, und sie kommen raus, wenn irgendwas kaputt ist. Ja, das hab ich Tassini gesagt.«
    »Und wann waren die das letzte Mal hier?« fragte Brunetti, obwohl ihm selbst nicht klar war, warum er das Thema weiterverfolgte.
    »So vor zwei Monaten, glaube ich, um die Zeit, als Tassini bei uns anfing. Die Schleiferei war für einen Tag geschlossen, weil einer der Sedimentationstanks repariert werden mußte.«
    »Hat Tassini das mitbekommen?«
    »Nein. Er kam ja erst zur Nachtschicht, und die Leute von Adil-San sind schon am Nachmittag wieder fort.«
    »Verstehe«, sagte Brunetti, aber er verstand nicht.
    Palazzi blickte auf die Uhr. Als Brunetti sah, daß er sich zum Gehen anschickte, fragte er: »Ist der Chef da?«
    »Vor einer Weile hab ich ihn noch gesehen. Wahrscheinlich ist er in seinem Büro. Soll ich mal nachfragen?«
    »Nein, danke«, erwiderte Brunetti beiläufig. »Wenn Sie mir nur den Weg zeigen, werde ich ihn schon finden. Ist nichts Wichtiges, nur ein paar Routinefragen über Tassini und seine Betriebszugehörigkeit.«
    Palazzi maß Brunetti mit einem langen Blick und meinte: »Komisch, daß die Polizei wegen ein paar Routinefragen gleich einen Commissario herschickt, nicht?« Er lächelte, und Brunetti war nicht mehr sicher, wer von ihnen eigentlich die Befragung geführt hatte.
    Nachdem der Commissario sich noch einmal bei ihm bedankt hatte, machte Palazzi kehrt und verschwand durchs Tor in der Werkstatt. Brunetti folgte ihm in das inzwischen vertraute Halbdunkel. Vor den offenen Rechtecken der Schmelzöfen am anderen Ende der Halle bewegten sich die Arbeiter wie Schattenrisse im gleißenden Feuerschein. Brunetti blieb stehen und sah ihnen zu, wie sie sich achtsam vorbeugten und in eingespieltem Rhythmus die canne in der hellen Glut der Ofengehäuse versenkten. Etwas an ihren Hantierungen löste eine vage Erinnerung aus, aber alles, was er sah, war das Ballett der Glasbläser, die ihre Werkstücke kreisen ließen, sie im Feuer härteten und unablässig weiterdrehten, bis sie sie wieder aus dem Ofen nahmen: der gleiche Ablauf, den er in den letzten Tagen schon mehrfach beobachtet hatte. Brunetti wandte sich ab.
    An der rechten Längswand befanden sich vier Türen. Auf der ersten stand Fasanos Name. Brunetti wollte gerade anklopfen, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Die maestri hielten, um das Gleichgewicht zu wahren, die langen Stangen mit der Rechten, in der sie die meiste

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