Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
anrief, landete ich in einem Menü mit dem üblichen lustigen Fragenkatalog: Drücken Sie die Eins für dies und die Zwei für das und die Drei, falls Sie ein neues Servicepaket abschließen möchten. Und dann war die Leitung tot. Sechsmal!«
»Wieso hast du dir das sechsmal angetan?«
»Was blieb mir denn anderes übrig? Selbst wenn ich meinen Vertrag hätte kündigen wollen, müßte ich immer noch da anrufen, mich abmelden und veranlassen, daß sie die Endabrechnung an die Bank schicken.«
»Und wann verrätst du mir, was das alles mit Marghera zu tun hat?« Brunetti merkte auf einmal, wie müde er war und wie gern er sich dieser Unterhaltung entzogen hätte.
Paola nahm die Brille ab; sei es, um ihn besser sehen zu können, sei es, damit er unter ihrem Basiliskenblick versteinere. »Weil an beiden Stellen die gleichen Leute arbeiten, Guido. Die Computerprogramme und die Sicherheitssysteme - alles wird von den gleichen Leuten entworfen. Als ich am Ende meiner Odyssee doch noch ein menschliches Wesen an die Strippe kriegte, wies die Frau mich an, das Ablaufdatum meiner Karte zu faxen, weil das System ihr nicht erlaube, persönliche Daten telefonisch entgegenzunehmen.«
Brunetti lehnte den Kopf an die Sofalehne und schloß die Augen. »Ich sehe immer noch keinen Zusammenhang.«
»Derjenige, der es versäumt hat, in dem Brief an mich die Faxnummer anzugeben, könnte leicht derselbe sein, der in einer der Fabriken in Marghera eine Taste oder einen Hebel zu bedienen hat und der, statt ihn so rum zu drehen ...« Paola wartete, bis er die Augen wieder aufmachte, und er sah sie ein unsichtbares Steuerrad nach rechts kurbeln. »... ihn genau andersrum dreht«, fuhr sie fort und schwenkte die Hände nach links. »Und dann ist alles hin, Marghera, Venedig, wir alle.«
»Sachte, sachte«, mahnte Brunetti, erschöpft und verärgert über diese Schwarzmalerei. »Du bist ja die reinste Kassandra.«
»Genau wie Vianello?« fragte sie.
Brunetti, der sich nicht mehr erinnerte, wie er da hineingeraten war, ließ alle diplomatische Vorsicht fahren. »Wenn ihn so richtig der Hafer sticht, ja, dann seid ihr euch schon sehr ähnlich.«
Der sportliche Eifer, mit dem Paola die Diskussion eröffnet hatte, war eisigem Schweigen gewichen. Brunetti bückte sich nach dem neuen Espresso, schlug ihn aufs Geratewohl auf und landete bei den Kinokritiken. Verbissen konzentrierte er sich auf die Besprechung von Filmen, die er sich nie im Leben anschauen würde. Als er damit durch war, blätterte er wahllos weiter und stieß auf den Leitartikel, der den Marghera-Prozeß behandelte. Er schlug das Heft zu und ließ es zu Boden fallen.
»Schon gut«, sagte er. »Schon gut.« Und nach einer kleinen Pause: »Es war ein anstrengender Tag, Paola. Und ich möchte das, was davon übrig ist, nicht im Streit mit dir verbringen.«
Da er die Augen wieder geschlossen hatte, hörte er nur, wie sie zu ihm kam, und spürte gleich darauf ihr Gewicht neben sich auf dem Sofa. »Ich geh und mach das Abendessen«, flüsterte sie. Ihr Gewicht verlagerte sich, und dann fühlte er ihre Lippen auf seiner Stirn.
Als sie sich eine Stunde später zu Tisch setzten, zusammen aßen und tranken, klagten die Kinder wortreich über ihre Lehrer und die Hausaufgabenlast, die anscheinend nie abnahm.
»Wenn ihr studieren wollt«, sagte Brunetti, »dann kommt ihr ums Pauken nicht herum.«
»Und wenn ich nicht auf die Uni gehe«, fragte Chiara, »was dann?« Brunetti entdeckte keinen Trotz in ihren Worten; er sah Paola aufhorchen.
»Dann wirst du dir wohl eine Arbeit suchen müssen.« Brunetti bemühte sich, sachlich zu antworten und keine Kritik mitschwingen zu lassen, auch wenn für ihn die bessere Wahl außer Zweifel stand.
»Aber es heißt doch immer, daß man so oder so keine Stelle bekommt«, klagte Chiara.
»Steht auch dauernd in der Zeitung«, fiel Raffi ein, dessen Gabel über seinem Schwertfischsteak schwebte. »Nehmt nur Caterina und Fulvio«, verwies er auf die älteren Geschwister seines besten Freundes. »Beide haben promoviert, aber alle zwei sind arbeitslos.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Chiara. »Caterina arbeitet in einem Museum.«
»Du meinst, sie verkauft Kataloge im Correr«, sagte Raffi. »Das ist doch keine Arbeit für sie, nicht nach sechs Jahren Studium. Und wenn schon, dann würde sie als Schuhverkäuferin bei Prada mehr verdienen.« Brunetti fragte sich, ob Raffi das für einen besseren Job hielt.
»Prada ist auch nicht das Gelbe vom Ei
Weitere Kostenlose Bücher