Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
Kraft hatten. Handschuh und Armschutz trugen sie links, auf der Seite, die dem Feuer am nächsten kam. Tassini aber war Linkshänder: Er hatte sein Glas und auch den Telefonhörer in die linke Hand genommen, folglich hätte er die Schutzkleidung rechts tragen müssen.
Brunetti klopfte und trat ein, als von drinnen die Aufforderung erklang. Fasano stand am einzigen Fenster des Raums und beugte sich tief über etwas, das er ans Licht hielt. Er war in Hemdsärmeln und Weste und konzentrierte sich ganz auf das Teil in seinen Händen.
»Signor Fasano?« fragte Brunetti, obwohl er ihn von den Fotos und ihrer früheren Begegnung her erkannte.
»Ja?« antwortete Fasano und drehte sich um. »Ah!« rief er, als er Brunetti erblickte, »Sie sind der Polizist, der schon ein paarmal hier war, stimmt's?«
»Ja. Guido Brunetti«, sagte der Commissario. Jene Abendgesellschaft lag schon so lange zurück, daß man daran wohl nicht mehr anknüpfen konnte.
»Ich erinnere mich«, entgegnete Fasano. »Bei den Guzzinis, vor etwa fünf Jahren.«
»Sie haben ein gutes Gedächtnis.« Eine Antwort, die offenließ, ob Brunetti sich ebenfalls an die Begegnung erinnerte oder nicht.
Fasano lächelte, trat an den Schreibtisch, wo er das Teil abstellte - eine hohe Filigranvase, die sich nach oben hin zu einer lilienförmigen Öffnung verjüngte -, und kam dann mit ausgestreckter Hand auf Brunetti zu.
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen gern ein paar Fragen zu Giorgio Tassini stellen«, sagte Brunetti.
»Der arme Teufel, der drüben gestorben ist.« Fasanos Antwort war halb Frage, halb Feststellung. Er wies mit dem Kinn in Richtung der Fornace De Cal. »Soweit ich mich erinnern kann, das erste Mal, daß hier draußen jemand ums Leben kam.«
»Mit ›hier draußen‹ meinen Sie Murano, Signore?«
»Ja. Bei De Cal hat es bis dahin nicht mal einen schwereren Unfall gegeben«, sagte Fasano. Und in einer Mischung aus Stolz und Erleichterung setzte er hinzu: »Bei uns übrigens auch nicht.«
»Tassini war noch nicht lange bei Ihnen, als das passierte, oder?« fragte Brunetti.
Fasano lächelte nervös. »Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, Commissario, aber ich verstehe nicht, warum Sie mit diesen Fragen zu mir kommen, statt sich an De Cal zu halten.«
»Ich versuche mir ein Bild von Tassinis Aufgabenbereich zu machen, Signore. Darüber hinaus sammele ich alle Fakten, die mir helfen könnten, das Geschehene zu verstehen. Mit Signor De Cal habe ich bereits gesprochen, und da Tassini auch für Sie gearbeitet hat ...« Brunetti ließ den Satz in der Schwebe.
Fasano senkte den Blick. Als ob er unbewußt Palazzis Unsicherheit nachahmen würde, schob er die Hände in die Taschen und starrte zu Boden. Doch nach einer Weile sah er Brunetti offen an und sagte: »Er hat in nero gearbeitet, Commissario.« Er nahm die Hände aus den Taschen und hob sie in theatralischer Geste in die Höhe. »Früher oder später hätten Sie's ja doch rausgekriegt, also kann ich's Ihnen auch gleich sagen.«
»Damit habe ich nichts zu tun, Signor Fasano«, versetzte Brunetti liebenswürdig. »Mich interessiert nicht, wie er bezahlt wurde, sondern nur, was seinen Tod verursacht haben könnte. Nichts sonst.«
Fasano musterte Brunettis Gesicht, als versuche er abzuwägen, wieweit er diesem Mann trauen dürfe. Endlich sagte er: »Ich vermute, daß er auf eigene Rechnung Glas herstellen wollte.« Da Brunetti nichts erwiderte, setzte er erläuternd hinzu: »Also Gegenstände aus Glas. Vasen, Trinkgefäße.«
»Wußte er denn, wie das geht?« fragte Brunetti.
»Er war seit Jahren nebenan beschäftigt. Also hat er sich bestimmt die notwendigen Grundkenntnisse angeeignet.«
»Haben Sie ihn je beim Glasmachen gesehen? Drüben oder hier?«
Fasano schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin ihm hier auch fast nie mehr begegnet, nachdem ich ihn eingestellt hatte.« Bei dem Wort »eingestellt« wirkte er nervös.
»Der Mann hat ja nachts gearbeitet«, fuhr Fasano rasch fort, »und ich bin nur untertags da. Aber die meisten Nachtarbeiter brennen sich während ihrer Schicht ein, zwei Stücke nebenher und nehmen sie morgens mit nach Hause.
In aller Regel wird da ein Auge zugedrückt, zumindest hier, bei mir.«
»Und wieso?«
Fasano lächelte und sagte: »Solange sie nicht den Namen der vetreria draufsetzen oder ihre Arbeit für die eines der maestri ausgeben, ist das Ganze ja relativ harmlos. Im Lauf der Jahre haben wir uns wohl alle
Weitere Kostenlose Bücher