Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Laune sich schlagartig. »Was hast du denn für mich?«
»Aids«, sagte Bocchese lakonisch. Und in das betroffene Schweigen hinein erläuterte er: »Das heißt, ich habe eine Blutprobe, die HIV-positiv ist. Oder, um es noch präziser auszudrücken, das Labor hat - endlich - die Untersuchung der Blutprobe, die ich ihnen geschickt hatte, abgeschlossen, und der Befund lautet HIV-positiv. Blutgruppe B negativ, die ziemlich selten ist, und HIV-verseucht, was nicht so selten ist, wie es sein sollte.«
»Das Blut aus der Apotheke?«
»Ja.«
»Hast du's schon jemandem gesagt?«
»Nein. Die Mail ist eben erst gekommen. Warum?«
»Nur so. Ich rede mit Vianello.«
»Es ist doch nicht sein Blut, oder?« fragte Bocchese sachlich.
Brunetti war so schockiert, daß er losbrüllte: »Was?!«
Am anderen Ende blieb es lange still, bevor ein erstaunlich kleinlauter Bocchese versicherte: »So hab ich's nicht gemeint. Diese Proben werden immer anonym abgegeben, wir wissen nie, von wem sie sind.«
»Dann sag's gefälligst auch so!« entgegnete Brunetti immer noch ziemlich laut. »Und laß die blöden Witze. Die sind nicht komisch«, fügte er schroff hinzu, selbst erstaunt über seinen plötzlichen Zorn auf Bocchese.
»Entschuldige«, bat der Kriminaltechniker. »Ist wohl eine Berufskrankheit. Unsereins kriegt immer nur Teile oder Proben von Probanden zu sehen. Das verleitet unwillkürlich zum Kalauern, und vielleicht vergessen wir darüber die Menschen, um die es geht.«
»Schon gut«, sagte Brunetti und fügte, fast wieder besänftigt, hinzu: »Ich geh runter und sag's ihm.«
»Du wirst doch nicht -« stammelte Bocchese. Doch Brunetti schnitt ihm das Wort ab. »Ich werde ihm sagen, daß wir den Befund haben.« Und in versöhnlichem Ton fuhr er fort: »Keine Angst. Weiter werde ich ihm nichts erzählen. Mal sehen, ob wir die Probe jetzt irgendwem zuordnen können.«
Nachdem er ihm für seine Diskretion gedankt hatte, verabschiedete Bocchese sich höflich und legte auf.
Brunetti machte sich auf die Suche nach Vianello.
Sie brauchten nur wenige Minuten, bis sie in den Krankenakten aus Franchis Computer fündig wurden. Und nach ein paar Telefonaten hatten sie auch ein mögliches Motiv für den Einbruch in der Apotheke. Piero Cogetto war Rechtsanwalt und seit kurzem von der Frau - auch sie Juristin - getrennt, mit der er sieben Jahre zusammengelebt hatte. Cogetto hatte weder ein Drogenproblem, noch war er jemals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.
Gestützt auf diese Informationen, kostete es Vianello bloß noch zwei weitere Anrufe, bis er jemanden fand, der ihm den Rest der Geschichte erzählte: Sobald sie erfuhr, daß er HIV-positiv war, hatte Cogettos Verlobte ihn verlassen. Nicht wegen der Krankheit, sondern weil er ihr untreu gewesen sei, behauptete sie, was allerdings innerhalb ihres Bekanntenkreises auf erhebliche Zweifel stieß. Der zweite von Vianellos Gewährsmännern gab an, sie habe stets beteuert, von der Aids-Erkrankung hätte sie nur erfahren, weil jemand sich aus Versehen verplappert habe.
Nachdem Vianello all dies an Brunetti und Pucetti weitergegeben hatte, fragte er: »Und was machen wir jetzt?«
»Wenn er Aids hat, kann er nicht ins Gefängnis«, sagte Brunetti. »Aber wenn wir ihn dazu bringen, den Einbruch zu gestehen, könnten wir den Fall wenigstens abschließen und zu den Akten legen.« Er merkte selbst, wie sehr das nach Patta klang, und war dankbar, daß die beiden anderen es nicht kommentierten.
»Und du glaubst, er wird zugeben, daß er's war?« fragte Vianello.
Brunetti zuckte die Achseln. »Warum nicht? Die Blutproben stimmen überein, und notfalls könnte ein DNA-Test den Nachweis erhärten. Aber als Jurist weiß er auch, daß wir ihm nichts anhaben können, wenn er HIV-positiv ist.« Mit einem Mal fühlte Brunetti sich unendlich müde und wünschte, es wäre schon alles vorüber.
»Ich würd's verstehen, wenn er es getan hat«, meinte Pucetti.
»Wer könnte das nicht?« bestätigte Vianello und gab damit indirekt zu verstehen, daß Dottor Franchi der Urheber jenes fatalen »Versehens« sein mußte.
»Wenn du willst, rede ich mit ihm«, schlug der Inspektor Brunetti vor. »Sobald das Wasser sinkt.« An Pucetti gewandt, fuhr er fort: »Warum kommen Sie nicht mit und schauen sich an, wie das ist, jemanden zu vernehmen, der weiß, daß man ihn nicht einsperren kann?«
»Davon gibt's 'ne Menge«, sagte Pucetti, ohne eine Miene zu verziehen.
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E r war gern hier hinten im Labor, an seinem
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