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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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wahrscheinlich gar nicht leisten konnten, blickten sie doch respektvoll, ja ehrerbietig und mit ungehemmtem Entzücken um sich. Wenn man sie so ansah, mit ihren billigen Klamotten und den schlechten Haarschnitten, konnte man nur vermuten, wie hart sie sich diese Reise zusammengespart hatten. Er wußte, daß viele nächtelang im Bus schliefen, um einen einzigen Tag in der Serenissima herumzulaufen und zu schauen, ohne an Shopping auch nur zu denken. Sie waren so ganz anders als die übersättigten Amerikaner, die natürlich immer schon Größeres und Besseres gesehen hatten, oder die larmoyanten Westeuropäer, die von sich dasselbe glaubten, aber zu kultiviert waren, es auszusprechen.
    Als sie auf die Piazza hinaustraten, sagte der Inspektor, der die Touristengruppe anscheinend nicht bemerkt hatte: »Die ganze Welt steht kopf vor lauter Angst wegen der Vogelgrippe, und wir haben hier mehr Tauben als Menschen.«
    »Entschuldige, was hast du gesagt?« fragte Brunetti, der immer noch die Touristen beobachtete.
    »Hab ich erst vorgestern in der Zeitung gelesen«, beharrte Vianello. »Venedig hat etwa sechzigtausend Einwohner, aber die Zahl der Tauben - also nach Angabe der Zeitung, wohlgemerkt - beläuft sich auf über hunderttausend.«
    »Das kann nicht sein«, entfuhr es Brunetti angewidert. Dann schickte er in sachlicherem Ton nach: »Und überhaupt, wer sollte sie denn zählen, und wie würde das gehen?«
    Vianello zuckte die Achseln. »Wer weiß schon, wie Statistiken zustande kommen?« Doch plötzlich hellten sich seine Züge auf, sei es, daß die spürbare Wärme auf der Piazza ihn milder gestimmt, sei es, daß das aberwitzige Thema ihn erheitert hatte, und er fragte: »Was meinst du, ob die Stadtverwaltung Leute dafür bezahlt, daß sie rumgehen und die Tauben zählen?«
    Brunetti dachte einen Moment darüber nach, bevor er zu einer Antwort ansetzte. »Es ist ja nicht so, daß eine Taube den ganzen Tag an einer Stelle hocken bleibt, oder? Folglich könnten einige doppelt gezählt worden sein.«
    »Oder gar nicht«, hielt Vianello dagegen. Und dann brach es fast gehässig aus ihm heraus: »Mein Gott, wie ich sie verabscheue!«
    »Ich auch«, gestand Brunetti. »Geht, glaube ich, den meisten so. Eklige Viecher.«
    »Aber wehe, wenn du auch nur eins davon anrührst!« Vianello geriet zusehends in Rage. »Da schreien die animalisti gleich: ›Keine Gewalt gegen Tiere!‹, und faseln was von unserer Verantwortung für all die kleinen Gottesgeschöpfe.« Angewidert oder vielleicht auch nur verwirrt, warf er die Hände in die Luft. Brunetti wollte schon sein Erstaunen darüber bekunden, daß ausgerechnet der erklärte Umweltschützer der Questura solche Reden schwang, als sein Blick auf die Hauptfassade der Basilika mit ihren ungleichen Kuppeln fiel - auf die ganze verschwenderische Pracht.
    Unvermittelt blieb er stehen und gebot Vianello mit einer Handbewegung Schweigen. Dann fragte er mit gänzlich veränderter, fast feierlicher Stimme: »Trotzdem können wir uns glücklich schätzen, nicht wahr?«
    Vianello schielte erst skeptisch nach Brunetti, folgte dann aber dessen Blick hinüber zur Markuskirche, den Flaggen, die in der leichten Brise wehten, und den Mosaiken über den Portalen. Eine ganze Weile ließ der Inspektor die Augen auf der Kathedrale ruhen, bevor er sich nach rechts wandte und über die Piazzetta und den Kanal hinweg nach San Giorgio Maggiore mit seinem stets wachsamen Engel spähte. Dann reckte Vianello in einer für ihn ganz untypischen Geste den Arm und beschrieb einen weiten Bogen, der sowohl die Bauten am Rande der Piazza wie auch die jenseits des Kanals umfaßte. Gleich darauf wandte er sich Brunetti zu und tätschelte ihm rasch, zweimal hintereinander, den Arm. Brunetti glaubte schon, der Inspektor setze zu einer Rede an, doch Vianello entfernte sich, ohne etwas zu sagen, in Richtung Riva degli Schiavoni und schlug den sonnengesprenkelten Weg zur Questura ein.
    Sie einigten sich darauf, unterwegs irgendwo zu Mittag zu essen, allerdings erst, wenn sie mindestens zwei Brücken zwischen sich und San Marco gebracht hätten. Vianello kannte eine kleine Trattoria in der Via Garibaldi, wo sie Penne mit Pfeffersauce bestellten, gefolgt von gegrillten Auberginen, pecorino affumicato und endlich Truthahnbrust im Teigmantel, gefüllt mit Kräutern und pancetta.
    Während des Essens versuchte Vianello, die Funktionsweise eines Computers zu erläutern, mußte aber bereits mitten im PastaGang notgedrungen

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