Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Aus einer großen Schüssel, die mitten auf dem Tisch stand, häufte Paola gerade Fusilli mit grünen Oliven und Parmesan auf Chiaras Teller. Es war noch nicht ganz die Saison für ein solches Gericht, aber Brunettis Augen und Nase begrüßten es wohlgefällig. Nachdem sie Chiara den Teller hingestellt hatte, reichte Paola ihr ein Schüsselchen mit ganzen Basilikumblättern: Chiara nahm ein paar, zerzupfte sie und streute sie über die Pasta.
Erst nachdem Paola auch Raffi und Brunetti aufgetan hatte, die beide ebenfalls kleingerupftes Basilikum an ihre Pasta gaben, bediente sie sich selbst. Bevor sie sich hinsetzte, legte sie den Servierlöffel beiseite und deckte die Pastaschüssel mit einem Teller ab.
»Buon appetito«, wünschte Paola und begann zu essen.
Schon bei den ersten Bissen nahm Brunetti den Geschmack mit allen Sinnen auf. Zuletzt hatten sie Fusilli mit Oliven und Parmesan gegen Ende des Sommers gegessen, und damals hatte er eine der letzten Flaschen Masi Rosato aufgemacht. Ob es noch zu früh im Jahr war für einen Rose?, überlegte Brunetti. Doch dann sah er die Flasche auf dem Tisch und erkannte Farbe und Etikett.
»Danach gibt's noch calamari ripieni«, verkündete Paola, zweifellos um ihnen die Entscheidung zu erleichtern, wer die restliche Pasta bekam. Chiara, die tags zuvor Fisch und Meeresfrüchte in die Liste der Speisen aufgenommen hatte, die sie als Vegetarierin verschmähte, bat ebenso um eine zweite Portion Pasta wie Raffi, der anschließend sicher auch die Calamari seiner Schwester mit unvermindertem Appetit und reinen Gewissens verdrücken würde. Mit der Miene eines Mannes, der nicht im Traum daran dachte, seinen hungrigen Kindern etwas wegzuessen, schenkte Brunetti sich ein Glas Wein ein.
Chiara half beim Abräumen der Teller und kam mit einer Schüssel Gemüse aus der Küche zurück. Als Paola die Calamari brachte, glaubte Brunetti, die Möhren und den Lauch, ja vielleicht sogar die gehackten Garnelen, mit denen sie gefüllt waren, riechen zu können. Die Unterhaltung drehte sich um Schule, Schule und noch mal Schule, bis Brunetti einwarf, dass er am Vormittag bei der Contessa gewesen war und allen Grüße bestellen sollte. Paola wandte den Kopf und sah ihn durchdringend an, während er das sagte; die Kinder reagierten ganz unbefangen.
Als sie Chiara nach der Platte mit den Calamari greifen sah, lenkte Paola schnell Raffi ab, indem sie sich erkundigte, ob er und Sara Paganuzzi heute Abend wie geplant ins Kino gingen und er, wenn ja, zuvor noch etwas essen wolle. Wie sich herausstellte, war Sara leider eine Griechischübersetzung dazwischengekommen. Er, Raffi, würde ihr dabei helfen und war auch gleich bei Sara zum Abendessen eingeladen.
Paola erkundigte sich nach dem Text, woraus sich eine Diskussion über Fahrlässigkeiten und Verfehlungen im Peloponnesischen Krieg entspann, die beide so gefangen nahm, dass sie gar nicht merkten, wie Brunetti und Chiara die Calamari aufaßen. Nicht einmal, dass Brunetti den leeren Teller seiner Tochter unter den eigenen schob, bekamen sie mit. Sobald Athen besiegt und seine Mauern niedergerissen waren, aß Raffi die Gemüseschüssel leer und erkundigte sich nach dem Dessert.
Doch inzwischen war die Sonne nicht nur von Brunettis Rücken verschwunden, sondern auch vom Himmel, der sich von Osten her zugezogen hatte. Paola stand auf und erklärte, während sie die Teller einsammelte, zum Nachtisch gebe es nur Obst, und das könnten sie auch drinnen essen. Erleichtert stieß Brunetti seinen Stuhl zurück und ging, in einer Hand die leere Gemüseschüssel, in der anderen die Weinflasche, zur Küche.
Der lange Aufenthalt im Freien hatte ihn frösteln gemacht, und er hatte keinen Appetit mehr auf Obst. Paola versprach, Kaffee zu kochen, während sie den Abwasch machte, und schickte ihn zum Zeitunglesen ins Wohnzimmer.
Dort fand sie ihn etwa zwanzig Minuten später. Die Zeitung lag ungeöffnet in seinem Schoß, und Brunetti starrte nach draußen, über die Dächer in den Himmel. Dabei schrie die Schlagzeile auf der heutigen Titelseite, die nähere Einzelheiten zur jüngst erfolgten Festnahme eines der führenden Mafiabosse verhieß, geradezu nach Aufmerksamkeit.
Paola blieb, in jeder Hand eine Kaffeetasse, hinter dem Sofa stehen und fragte: »Liest du die Kommentare zu eurem Triumph?«
Brunetti schloss die Augen. »Schöner Triumph!«, murmelte er.
»Da möchte man ernsthaft ans Auswandern denken, stimmt's?«, forschte sie weiter.
»Dreiundvierzig
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