Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Vianello und Brunetti zurück, betrachteten die Schaufenster, verglichen die Auslagen und stellten einmal mehr fest, wie sehr die Geschäfte sich in den letzten Jahren gewandelt und dem Touristengeschmack angepasst hatten. »Immerhin ist der noch da«, meinte Paola, als sie bewundernd vor den Pyramiden aus getrockneten Früchten im Fenster des Feinkosthändlers Mascari stehen blieb.
Nadia, die mindestens einen Kopf kleiner war als Paola und sehr viel rundlicher, entgegnete: »Meine Mutter erinnert sich noch an die Zeit, da alles, was hier über den Ladentisch ging, in Zeitungspapier eingeschlagen wurde. Sie lebt inzwischen bei meinem Bruder in Dolo, aber ihre Feigen müssen auch heute noch von Mascari sein. Ohne deren Schriftzug auf dem Einwickelpapier rührt sie keine an.« Mit einem nachsichtigen Kopfschütteln eilte Nadia den Männern nach, die schon fast außer Sicht waren.
Auf dem Campo San Giacomo dell'Orio machten Brunetti und Vianello halt und warteten, bis die Frauen sie eingeholt hatten. Man gruppierte sich wieder paarweise, und Brunetti übernahm die Führung durch die enge calle bis vor das Haus, in dem die Treffen der Kinder Jesu Christi stattfanden. Er klingelte bei Sambo, und sie wurden eingelassen, ohne dass jemand nach ihrem Namen gefragt hätte. Der Hausflur war recht unscheinbar: weiß und orange gemusterte Marmorfliesen, dunkle Holztäfelung mit Spuren von Feuchtigkeitsschäden und schummrige Beleuchtung.
Auf dem zweiten Treppenabsatz drang Stimmengemurmel durch eine angelehnte Wohnungstür. Unschlüssig, ob er klopfen solle, steckte Brunetti den Kopf durch den Spalt und rief: »Signora Sambo?« Als niemand antwortete, wagte er sich einen Schritt weit vor und wiederholte: »Signora Sambo?«
Eine kleine Frau mit hellbraunem Haar trat aus einer Tür zur Rechten. Lächelnd begrüßte sie alle vier der Reihe nach, indem sie deren ausgestreckte Hände mit ihren beiden umschloss, sie sodann auf die Wange küsste und feierlich verkündete: »Willkommen in unserem Heim.« Was bei ihr so klang, als wäre ihr Zuhause irgendwie auch das der Besucher.
Sie hatte dunkelbraune Augen, deren äußere Lidfalten nach unten zeigten, was ihrem Gesicht einen orientalischen Anstrich verlieh, obwohl die schmale Nase und der helle Teint nur europäischer Herkunft sein konnten. »Kommen Sie nur herein! Ich mache Sie gleich mit den anderen bekannt.« Wieder lächelte sie, ein Lächeln, das große Freude über ihr Kommen ausdrückte, bevor sie sich umwandte und ihnen vorausging ins Innere der Wohnung.
Brunetti und Vianello waren unterwegs übereingekommen, sich mit Rücksicht auf ein etwaiges juristisches Nachspiel unter ihren richtigen Namen einzuführen. Was sich jedoch erübrigte durch die bedingungslose Gastfreundschaft dieser Frau, die keinerlei Fragen stellte.
Das Zimmer, in das Signora Sambo sie geleitete, verfügte über eine großzügige Fensterfront, die leider nur auf die Fenster von gegenüber blickte. Ungefähr zwanzig Personen waren bereits anwesend. Vor einer Wand stand ein Tisch, bestückt mit Gläsern, Mineralwasser und Obstsäften. Ein paar Reihen Klappstühle waren mit dem Rücken zu den Fenstern auf einen einzelnen steiflehnigen Sessel hin ausgerichtet.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte ihre Gastgeberin. Und brachte ihren Wünschen entsprechend Saft für die Damen und Mineralwasser für die Herren. Ein Blick in die Runde verriet Brunetti, dass dies der allgemeinen Wahl entsprach.
Wie Vianello und er trugen auch die anderen Männer alle Anzug und Krawatte; von den Frauen waren manche in Hosen erschienen, die Röcke der übrigen reichten zumeist bis unters Knie. Keine Bärte, kein Tattoo weit und breit und schon gar kein Piercing, obwohl einige der Anwesenden deutlich unter dreißig waren. Die Damen trugen, wenn überhaupt, dann nur sehr dezentes Make-up und hochgeschlossene Blusen oder Pullis.
Als Brunetti sich nach Paola umsah, fand er sie bereits in angeregtem Gespräch mit einem Mann und einer Frau mittleren Alters. Nicht weit von ihr drehte Vianello sein Glas in der Hand, während Nadia lächelnd einer weißhaarigen Frau zuhörte, die ihr vertraulich eine Hand auf den Arm gelegt hatte.
Der Raum war mit Keramiktellern dekoriert, die alle den Namenszug eines Restaurants oder einer Pizzeria trugen. Der unmittelbar neben Brunetti zeigte ein Paar in traditioneller Tracht: Die Frau trug hochhackige Schuhe zum langen Rock, der Mann Pluderhosen und einen breitkrempigen Hut. Ein
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