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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sich nicht erzwingen: Auf störrische Menschen kann man schließlich nicht mit dem Stock einprügeln wie auf einen Esel oder ein Pferd. Gewiss, manches lässt sich mit Druck erreichen: So können wir Kinder dazu bringen, ihre Hausaufgaben zu machen, oder Menschen für karitative Zwecke mobilisieren. Aber was passiert, wenn wir den Prügel wegstecken? Spenden die Leute dann immer noch? Und machen die Kinder weiter ihre Hausaufgaben?«
    Etliche Personen vor Brunetti schüttelten den Kopf oder wandten sich flüsternd an ihre Nachbarn. Er blickte hinüber zu Paola und hörte sie sagen: »Geschickt macht er das, nicht wahr?«
    »... werden wir letztlich nur uns selbst dazu bewegen, Gutes zu tun, weil jeder nur sich selbst davon überzeugen kann, Gutes tun zu wollen. Ich bitte um Nachsicht, meine Freunde, wenn ich mit dieser Binsenwahrheit eure Intelligenz beleidige. Aber es ist und bleibt eine Wahrheit, die eben weil sie so selbstverständlich ist - leicht, ja allzu leicht übersehen wird: Wir können einen anderen Menschen in seinem Willen nicht beeinflussen. Viele von euch denken jetzt bestimmt: Er hat leicht reden. Und ich gebe euch recht, ja ich gehe sogar noch weiter: Wer sich nur hinstellt und dazu aufruft, Gutes zu tun, der macht es sich zu leicht. Etwas anderes dagegen ist ungemein schwer, nämlich zu erkennen, was überhaupt gut ist. Diejenigen von euch, die studierter sind als ich - und das sind wohl die meisten -«, schob er mit gebührender Bescheidenheit ein, »wissen natürlich, dass die Philosophen darüber seit Tausenden von Jahren gestritten haben und immer noch streiten.
    Doch während die Philosophen sich befehden und kluge Abhandlungen verfassen, können wir - ihr und ich - mit dem Herzen begreifen, was gut sein bedeutet. In dem Moment, wo wir etwas sehen oder hören, spüren, ja wissen wir, ob es gut ist oder nicht.«
    Der Mann schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, schien er den Boden vor seinen Füßen zu erkunden. »Es steht mir nicht zu, euch darüber zu belehren, was gut ist und was nicht. Aber ich versichere euch, dass das Gute einen jeden bereichert, denjenigen, der es empfängt, ebenso wie den, der es vollbringt. Nicht mit irdischen Gütern wie einem größeren Haus oder einem schnelleren Auto, sondern kraft der Gewissheit, das Gute in der Welt ein Stück weit vermehrt zu haben. Beide, Geber wie Empfänger, gehen glücklich und beschenkt aus dieser Erfahrung hervor und werden es im Leben leichter haben.«
    Er hob den Blick und fasste jedes der Gesichter vor ihm einzeln ins Auge. »Gutes tun, das ist unser Leitsatz, der sich schlicht auf Nächstenliebe und Herzensgüte stützt. Wir, die wir hier im Geiste Christi versammelt sind, finden unsere Vorbilder in den Evangelien, den Seligpreisungen und darin, was Jesus Christus uns durch sein Wirken in der Welt vorgelebt hat. Er war ein Quell der Nachsicht und Vergebung. Sein Zorn aber richtete sich - die wenigen Male, die er hervorbrach -, stets gegen Vergehen, die auch wir für Unrecht halten: Mit der Religion Geschäfte machen, unschuldige Kinder verderben.«
    Nach einer längeren Pause fuhr er fort: »Manchmal bitten mich Glaubensfreunde um Rat, wie sie sich verhalten sollen.« Sein nachsichtiges Lächeln erklärte die bloße Frage für abwegig. »Alles, was ich darauf antworten könnte, hat Christus uns bereits vorgelebt. Also tue ich das Naheliegende und fordere die Sinnsucher auf, sich an meinen Chef zu wenden.« Er lachte, und seine Zuhörer stimmten ein.
    »Oder vielleicht sollte ich besser sagen ›an unseren Chef‹, denn sicher ist er ja auch für euch, die ihr heute Abend hier versammelt seid, der Einzige, der uns lehren kann, wie man Gutes tut. Und er hat nie einen Stock benutzt, kein Gedanke daran! Sondern uns nur die Augen geöffnet für das Gute und für unsere Freiheit, den Weg des Guten zu beschreiten.«
    Der Redner verstummte, hob eine Hand auf Schulterhöhe und ließ sie wieder sinken.
    Als das Schweigen sich in die Länge zog, glaubte Brunetti schon, der Vortrag sei zu Ende, und wandte sich nach Paola um. Doch da ergriff der Mann erneut das Wort, wobei sich der Nachtrag kaum vom Bisherigen unterschied. Er zitierte Bibelstellen als Belege für die Barmherzigkeit und Güte Jesu Christi und hob den Geist der Menschenliebe hervor, der Ihn beseelt und auf Seiner Erdenrnission geleitet habe. Er sprach eindringlich vom Kreuz, das der Menschensohn auf sich genommen, und von dem Leid, das er freiwillig erduldet habe, einzig

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