Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Contessa schwieg einen Moment, bevor sie antwortete: »Sie hat vor zwei Jahren einen Enkelsohn verloren und braucht so viel Trost, wie sie nur irgend finden kann. Wenn also dieser Bruder Leonardo mit seinen Predigten ihren Kummer lindert, kann ich das nur gutheißen.« »War auch von Geld die Rede?«
»Du meinst seitens Bruder Leonardo? Meiner Freundin gegenüber?«
»Ja.«
»Sie hat nichts dergleichen erwähnt. Und ich kann sie auf keinen Fall danach fragen.«
Brunetti, der sowohl den Vorwurf wie auch die Warnung aus ihrem Ton heraushörte, sagte bloß: »Wenn dir sonst noch was zu Ohren kommt...«
»Sicher«, unterbrach sie ihn, bevor er seine Bitte zu Ende bringen konnte. »Und du grüße bitte Paola und die Kinder von mir, ja?«
»Versprochen«, antwortete er, und dann hatte die Contessa auch schon aufgelegt.
Nachdem er Antonins Auftrag schon abgehakt hatte, wurde Brunetti durch dieses Telefonat wieder an ihn und seine Bitte erinnert. Er hatte in der Vergangenheit mit vermeintlich uneigennützigen Zeugen mehr schlechte als gute Erfahrungen gemacht, erst recht dann, wenn Geld im Spiel war. In diesem Fall wusste er nur von der einen Geldspende, die Bruder Leonardo von Patrizias Sohn empfangen sollte. Brunetti trat ans Fenster und betrachtete nachdenklich die Fassade von San Lorenzo: Es fiel ihm schwer zu glauben, dass Antonin aufrichtig um das Wohlergehen dieses jungen Mannes besorgt war. Um ehrlich zu sein, hatte er Mühe, Antonin aufrichtige Besorgnis für irgendjemanden außer ihm selbst zuzubilligen.
Er erinnerte sich an das, was die Contessa gesagt hatte: Es sei schwer, Leuten ihres Alters ihre - wie hatte sie es doch gleich genannt? - ihre Passionen auszureden. Brunetti tauschte Passionen gegen Vorurteile, richtete den so geänderten Satz gegen sich selbst und sah, wie recht sie hatte.
Unvermittelt fiel ihm wieder ein, dass er unter seinen Freunden in der Stadt nicht einen praktizierenden Christen hatte finden können. Kurz entschlossen ging er nach unten, um Signorina Elettra zu fragen, ob sie ihm vielleicht mit jemandem aus ihrem Bekanntenkreis weiterhelfen könne.
»Einen Christen?«, wiederholte sie verblüfft. Sie hatte die Zeitungsberichte über das tote kleine Mädchen nicht erwähnt, und Brunetti war froh, nicht mit ihr darüber sprechen zu müssen.
»Ja. Also jemanden, der gläubig ist und zur Messe geht.« Vielleicht um ihre Gedanken zu sammeln, ließ sie den Blick erst einmal zu der Blumenvase auf dem Fensterbrett schweifen. Dann wandte sie sich ihm wieder zu: »Darf ich fragen, wozu Sie so jemanden brauchen?«
»Ich möchte Informationen über einen Geistlichen einholen.« Als Signorina Elettra darauf nur mit Schweigen reagierte, ergänzte er: »Eine Privatangelegenheit.« »Aha!«, hauchte sie.
»Soll heißen?«, erkundigte er sich lächelnd.
Sie antwortete erst auf das Lächeln, dann auf seine Frage. »Es heißt, dass ich nicht weiß, ob Gläubige die richtigen Ansprechpartner sind, wenn Sie etwas über die Geistlichkeit erfahren wollen. Jedenfalls sofern es Ihnen um die Wahrheit zu tun ist.« »Haben Sie jemanden im Auge?«, fragte Brunetti.
Sie stützte das Kinn in die Hand und zog die Lippen ein, wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. Als sie wieder aufblickte, spielte ein zuckersüßes Lächeln um ihren Mund. »Sogar zwei«, erklärte sie triumphierend. »Von denen einer durchaus keine Sympathien für den Klerus hegt.« Bevor Brunetti sich dazu äußern konnte, fuhr sie fort: »Der andere vertritt einen versöhnlicheren Standpunkt. Was sicher daran liegt, dass er über weniger erschöpfende Informationen verfügt.« »Darf ich fragen, um wen es sich dabei handelt?«
»Um einen praktizierenden und einen ehemaligen Priester.«
»Und wer vertritt welche Meinung?«, forschte Brunetti weiter.
Sie richtete sich in ihrem Sessel auf, als wolle sie die Frage aus seiner Perspektive betrachten. Dann sagte sie: »Die weniger spannende Konstellation wäre wohl die mit dem Expriester in der kritischen Rolle, oder?«
»Sie entspräche sicher den gängigen Erwartungen«, bestätigte Brunetti.
Signorina Elettra nickte. »Und doch sieht die Wahrheit anders aus: Es ist nämlich der noch amtierende Priester, der eine ... nun ja, eher gegnerische Haltung zu seinen Kollegen einnimmt.« Zerstreut zog sie den Ärmel ihres Blazers über die Armbanduhr. »Ja«, erklärte sie dann sehr bestimmt, »ich glaube, er könnte die nützlicheren Informationen liefern.« »Und welche Art Informationen
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