Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
dieser prosaischen Antwort war Brunetti zunächst einmal froh, dass die Contessa offenbar die Zeitungen noch nicht gelesen hatte. Im übrigen war es ihm ein Rätsel, wie Paolas Eltern in der kurzen Zeit seit ihrer Rückkehr aus Sizilien gleich noch eine Reise eingeschoben hatten.
Das Lachen der Contessa klang melodisch, heller als ihre Sprechstimme und sehr anmutig. »Oh, tut mir leid, Guido, ich wollte dich nicht verwirren! Aber weißt du, Orazio hat sich angewöhnt, Sizilien und Kalabrien die ›Besetzten Gebiete‹ zu nennen. Da beide in der Hand der Mafia sind und die Regierung sich dort absolut nicht durchsetzen kann, hält er das für die korrekte Bezeichnung.« Die Contessa hielt einen Moment inne, bevor sie ergänzte: »Und bei Lichte besehen, liegt er damit ja auch nicht ganz falsch, oder?«
»Gilt dieser Name nur für den Hausgebrauch, oder verwendet er ihn auch in der Öffentlichkeit?«, fragte Brunetti, der sich kein Urteil darüber erlauben wollte, wie treffend die Formulierung seines Schwiegervaters war. Wie er es überhaupt vermied, sich zur politischen Haltung des Conte zu äußern.
»Oh, das kann ich dir nicht sagen, dazu bin ich bei Orazios öffentlichen Auftritten viel zu selten dabei. Aber du weißt ja, wie diskret er ist. Gut möglich also, dass er diese Bezeichnung nur mir gegenüber gebraucht. Allerdings«, setzte sie in gedämpftem Ton hinzu, »kennst du sie jetzt auch. Vielleicht wäre es klug, Orazio entscheiden zu lassen, wie weit er sie publik machen möchte?«
So liebenswürdig hatte noch niemand Brunetti zur Diskretion verpflichtet. »Selbstverständlich«, bekräftigte er. »Aber was war eigentlich der Grund deines Anrufs?«
»Dieser religiöse Prediger«, antwortete die Contessa. »Leonardo Mutti?«
»Ja«, bestätigte sie und überraschte ihn dann mit dem Zusatz: »Und außerdem noch ein gewisser Antonin ScalIon.«
Brunetti war überzeugt, dass er bei seinem ersten Gespräch mit der Contessa Antonins Namen mit keiner Silbe erwähnt, sondern lediglich von einem alten Freund seines Bruders gesprochen hatte. Wenn ein Name gefallen war, dann nur der von Bruder Leonardo.
»Ja?«, erkundigte sich Brunetti. »Und was hast du herausgefunden?« Die Frage, wie die Contessa von seinem Interesse an Padre Antonin erfahren habe, stellte er erst einmal zurück.
»Zufällig hat sich eine Freundin von mir ebenfalls von Bruder Leonardos Lehren beeinflussen lassen. Oder man könnte auch sagen, sie ist ihm ins Netz gegangen.« Wieder enthielt sich Brunetti jeden Kommentars.
»Und über die ... nun, nennen wir es Schwärmerei meiner Freundin für Bruder Leonardo ist dieser Padre Antonin auf sie aufmerksam geworden.« Bevor Brunetti nachhaken konnte, erläuterte die Contessa: »Der Padre ist ein Freund ihrer Familie. Während seiner Zeit in Afrika hat er ihnen jede Weihnachten diese grässlichen Rundbriefe geschickt. Und sie haben ihm vermutlich Geld zukommen lassen, auch wenn ich das nicht mit Bestimmtheit sagen kann. Jedenfalls habe ich mich bei meiner Freundin nach Bruder Leonardo erkundigt, und da hat sie mir erzählt, wie überrascht sie war, als Padre Antonin sie auf ihn ansprach.«
»Und was hat er gesagt?«
»Nichts Konkretes«, entgegnete die Contessa. »Aber sie hatte den Eindruck, dass er sie davor warnen wollte, sich zu sehr auf Bruder Leonardo einzulassen, diese Mahnung aber gleichzeitig um jeden Preis zu verschleiern suchte.« »Wird sie auf ihn hören?«, fragte Brunetti.
»Natürlich nicht, Guido! Du solltest inzwischen wissen, dass es sinnlos ist, den Leuten, wenn sie einmal in meinem Alter sind, ihre - nun ja - Passionen ausreden zu wollen.«
Dass sie diese Halsstarrigkeit so großmütig auf Menschen ihres Alters beschränkte, ließ ihn schmunzeln. »Weißt du, ob er irgendetwas Konkretes über Bruder Leonardo hat verlauten lassen?«
Wieder lachte die Contessa. »Nichts, was die Grenzen klerikaler Eintracht überschritten und gegen den guten Geschmack verstoßen hätte. Oder gegen Orazios Devise, sich nicht abfällig über einen Kollegen zu äußern.«
In ernsterem Ton fuhr sie fort: »Damit du dir nicht länger den Kopf darüber zerbrechen musst, woher ich weiß, dass du dich für Padre Antonin interessierst, Guido, will ich's dir verraten: Paola hat mir erzählt, dass er auf der Beerdigung deiner Mutter war und dich später aufgesucht hat.«
Worauf Brunetti schlicht danke sagte und dann die Frage anschloss: »Wie äußert sich denn deine Freundin über Mutti?«
Die
Weitere Kostenlose Bücher