Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
tuckerte, wo die Frau vom Sozialamt zu ihnen stoßen würde. Brunetti nutzte die Zeit, um Steiner zu berichten, wie sie die Leiche geborgen hatten, und setzte ihn auch über die heiklen Ergebnisse der Obduktion in Kenntnis.
Steiner nickte. »Wir hatten zwar noch keinen derartigen Fall, aber gehört hab ich schon davon, dass sie ihr Diebesgut an solchen Stellen verstecken.« Er schüttelte ein paarmal den Kopf, wie um ihn frei zu machen für die Einsicht in extreme menschliche Verhaltensweisen. »Das Mädchen ist ganze elf Jahre alt, und sie versteckt Schmuck in ihrer Vagina.« Der Maresciallo verstummte, dann murmelte er: »Dia buana.«
Das Boot fuhr unter der Rialtobrücke hindurch, ohne dass einer der Männer in der Kabine Notiz davon nahm. »Cristina Pitteri, die Frau, die gleich zu uns stoßen wird, arbeitet schon seit etwa zehn Jahren mit den Zigeunern.« Steiner sagte das so betont sachlich, dass Brunetti und Vianello verstohlene Blicke wechselten.
»Was ist denn ihr Fachgebiet?«, fragte Vianello.
»Sie ist psychiatrische Sozialarbeiterin«, erklärte Steiner. »Hat früher im Palazzo Boldu gearbeitet. Und als sie dort ihre Versetzung beantragte, ist sie in der Abteilung gelandet, die sich um die diversen Nomadengruppen kümmert.« »Gibt's denn da verschiedene?«, fragte Vianello.
»Ja, zum Beispiel die Sinti. Haben nicht die kriminelle Energie der Roma, sind aber nach Herkunft und Lebensart durchaus verwandt.«
»Und was macht diese Signora Pitteri?«, erkundigte sich Brunetti.
Steiner ließ sich Zeit mit der Antwort, bis das Boot unter dem Ponte degli Scalzi hindurchfuhr und Kurs auf den Bahnhof nahm. »Sie leitet ein Projekt, das sich interethnische Kooperation nennt«, sagte er endlich. »Was soll das sein?«, fragte Vianello.
Für einen Moment verzog sich Steiners Gesicht zu einem Grinsen, dann sagte er: »Soweit ich's mitbekommen habe, versucht sie, uns die nomadi begreiflich zu machen und umgekehrt.«
»Geht denn das?«, wollte Vianello wissen.
Steiner erhob sich und stieß die Tür auf, die zur Treppe und an Deck führte. über die Schulter gewandt sagte er noch: »Das fragst du sie am besten selber«, und stieg nach oben.
Der Bootsführer manövrierte die Barkasse in eine der Taxibuchten rechts vom imbarcadero der Linie 82. Die drei Männer gingen von Bord; Brunetti und Vianello folgten Stein er die Straße entlang zu einem dunklen Carabinieri-Kombi, der sie mit laufendem Motor erwartete. Eine kräftige Frau mit kurzen, dunklen Haaren stand rauchend neben dem Wagen. Brunetti schätzte sie auf Ende dreißig. Sie trug Rock und Pullover, darüber einen streng geschnittenen Blazer und dunkelbraune Laufschuhe aus teuer glänzendem Leder. In ihrem runden Gesicht wirkte alles irgendwie zu eng zusammengepresst: Die Augen standen sehr dicht beieinander, und mit der vollen, wulstigen Oberlippe, unter der die untere fast verschwand, schienen ihre Züge wie in einer Art Kontinentalverschiebung nasenwärts zu wandern.
Steiner trat mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Sie zögerte demonstrativ, bis alle es mitbekommen hatten, dann erst reichte sie dem Maresciallo die Hand.
»Darf ich bekannt machen, Dottoressa«, sagte er respektvoll, aber distanziert, »das sind Dottor Brunetti und Ispettore Vianello, sein engster Mitarbeiter. Die beiden haben das Mädchen gefunden.«
Die Frau schnippte ihre Zigarette weg, musterte nacheinander die Gesichter von Brunetti und Vianello und gewährte dann Brunetti einen flüchtigen, schlaffen Händedruck. Sie begrüßten einander förmlich, mit Titel. Vianello wurde von der Dottoressa nur mit einem Nicken bedacht, bevor sie sich umwandte und hinten in den Kombi stieg. Steiner nahm wortlos vorn neben dem Fahrer Platz. Da Signora Pitteri keine Anstalten machte durchzurutschen, mussten Brunetti und Vianello wohl oder übel um den Wagen herumlaufen und von der anderen Seite einsteigen. Brunetti öffnete die Tür erst einen Spaltbreit und passte dann eine Lücke im Verkehrsfluss ab, um auf den Rücksitz zu schlüpfen. Er setzte sich auf den unbequemen Platz in der Mitte, achtete aber sorgsam darauf, Knie und Oberschenkel nach links auszurichten, um nur ja nicht mit den Beinen der Frau rechts neben ihm in Berührung zu kommen. Nach ihm kletterte Vianello herein, schlug die Tür zu und quetschte sich in die Ecke.
Der Chauffeur, ein uniformierter Beamter, richtete leise das Wort an Steiner, der mit einem knappen »Sz« antwortete. Dann setzte sich der Wagen in Bewegung.
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