Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
»Dottoressa Pitteri arbeitet schon seit geraumer Zeit mit den Roma, Commissario«, sagte Steiner. »Sie kennt die Eltern des Mädchens und wird bestimmt eine große Hilfe für uns sein, wenn wir die Nachricht überbringen.«
»Für Arianas Familie hoffentlich auch«, warf Dottoressa Pitteri unwirsch ein. »Letzteres scheint mir viel wichtiger.« »Das versteht sich von selbst, Dottoressa.« Steiners Augen blieben unverwandt auf die Straße gerichtet, als habe er die Pflicht, den Fahrer vor drohender Gefahr zu warnen.
Als sie den Damm zum Festland erreichten, wanderte Brunettis Blick unwillkürlich nach links zu den Schornsteinen und Tanks von Marghera. Am Morgen hatte er in der Zeitung gelesen, dass heute nur Autos mit geraden Kennzeichen auf die Straße durften; die mit den ungeraden kamen morgen an die Reihe. Seit einem Monat hatte es nicht mehr richtig geregnet: Nur ein paar Spritzer waren hier und da niedergegangen, und Gott allein mochte wissen, was in der Luft, die sie atmeten, so alles herumschwirrte. »Feinstaub« lautete der Name dafür, der Brunetti jedes Mal, wenn er ihn las, an winzige Chemikalienpartikel denken ließ, an all die Gifte, die Marghera seit drei Generationen in die Atmosphäre schleuderte und die sich immer tiefer in seine Lunge und sein Gewebe fraßen.
Vianello, über dessen ökologisches Engagement sich in der Questura längst niemand mehr lustig machte, schaute in dieselbe Richtung. »Wenn man die schließen wollte«, sagte er ohne jede Einleitung und nickte zu den mächtigen Schornsteinen des Industriegebiets hinüber, »würde es umgehend Proteste hageln. ›Rettet unsere Arbeitsplätze!‹« Der Inspektor wies mit fast melodramatischer Geste nach links, bevor er die Hand halb frustriert, halb verzweifelt in den Schoß sinken ließ.
Eine Weile herrschte Schweigen, doch dann fragte Dottoressa Pitteri spitz: »Würden Sie die Leute lieber verhungern lassen, Ispettore? Mitsamt ihren Kindern?« In ihrer Stimme mischten sich Ironie und Herablassung, und sie artikulierte so deutlich, als fürchte sie, ein schlichtes Gemüt wie dieser Polizeiinspektor verstünde derart komplexe Fragen nicht.
»Nein, Dottoressa«, antwortete Vianello, »ich möchte, dass man aufhört, die Luft, die unsere Kinder atmen, mit CVM zu verseuchen.«
»Aber das wurde doch schon vor Jahren eingestellt«, gab sie unwirsch zurück.
»Behaupten die«, entgegnete Vianello. »Fragt sich nur, ob man ihnen glauben kann.«
In das nachfolgende Schweigen hinein dröhnte ungewöhnlich laut der Motor eines entgegenkommenden Lasters.
Brunetti, der im Rückspiegel das Mienenspiel der Frau verfolgt hatte, sah, wie sie verächtlich die Oberlippe vorschob, während sie sich von den anstößigen Schornsteinen abwandte.
Die Antipathie zwischen ihr und Steiner war so deutlich zu spüren, dass Brunetti, der eigentlich darauf brannte, sie über die Zigeuner auszufragen, in Steiners Gegenwart lieber darauf verzichtete. Stattdessen erkundigte er sich bei dem Maresciallo, den er jetzt wieder mit dem förmlichen Lei anredete, ob er das Lager aus eigener Anschauung kenne. »Ja, ich war zweimal dort.« »Wegen denselben Leuten, diesen Rocichs?«
»Einmal ja. Im anderen Fall musste ich eine Frau zurückbringen, die auf dem Vaporetto einen Touristen bestehlen wollte.« Steiners Stimme klang beispielhaft sachlich.
»Was haben Sie mit ihr gemacht?«
»Sie ins Auto verfrachtet und hier abgeliefert.« Einen Moment lang glaubte Brunetti, Steiners Bericht sei damit zu Ende, aber nach einer Pause fuhr der Maresciallo fort. »Es war die übliche Geschichte: Sie behauptete, schwanger zu sein. Wir waren unterbesetzt an dem Tag, und ich wollte keine Zeit damit verschwenden, die angebliche Schwangerschaft ärztlich überprüfen zu lassen, Zeugenaussagen aufzunehmen, das Sozialamt einzuschalten ...« Er verstummte für einen Moment. »Also beschloss ich, die Frau dort abzusetzen, wo sie nach eigenen Angaben wohnte, und den Fall als erledigt zu betrachten.«
»Obwohl es Zeugen gab, haben Sie auf deren Einvernahme verzichtet?«, mischte sich Dottoressa Pitteri ein. »Sie gingen einfach davon aus, dass die Frau schuldig sei?« »Ich brauchte keine Zeugenbefragung.«
»Ach, und warum nicht, Maresciallo? Weil sie eine Roma war? Gegen die natürlich jede Anschuldigung zutrifft, besonders aus dem Munde eines Touristen?« Das letzte Wort betonte sie nachdrücklich und dehnte spöttisch jede Silbe.
»Nein, nicht deswegen«, sagte Steiner, der immer noch
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