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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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und wimmerte weiter vor sich hin wie ein verwundetes Tier. Da packte er sie unwirsch am Arm. Sie war so dünn und abgezehrt, dass er sie mühelos hochziehen konnte.
    Die Frau nahm offenbar weder ihn wahr noch begriff sie, was mit ihr geschah. Rocich schob sie Richtung Wohnwagen und versetzte ihr dabei einen so derben Stoß in den Rücken, dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte. Doch im letzten Moment breitete sie instinktiv die Arme aus und taumelte vorwärts. Brunetti sah, wie ihr die drei Fotos entglitten. Rocich, der ihr auf den Fersen folgte, mochte es bemerkt haben oder auch nicht. Er trat eins in den Schlamm. Die beiden anderen flatterten mit der Bildseite nach unten zu Boden.
    Dicht gefolgt von ihrem Mann stolperte die Frau die Stufen zum Wohnwagen hinauf, und kaum dass beide darin verschwunden waren, schlug Rocich die Tür hinter ihnen zu. Der Knall scheuchte abermals die Vögel aus den Baumwipfeln auf; verstört flatterten sie umher, und ihr schrilles Gezeter erfüllte die Luft wie ein Echo auf die Schmerzensschreie der Frau.
    Brunetti bückte sich und hob die Fotos auf. Das eine, auf das Rocich getreten war und das sich unter dem Gewicht seines Fußes mit Schlamm vollgesogen hatte, war unwiderruflich ruiniert. Brunetti ließ es in seiner Jackentasche verschwinden. Die beiden anderen legte er auf der obersten Treppenstufe vor Rocichs Wohnwagen ab. Dann machte er kehrt und ging zum Kombi.
    Die Fahrt zurück nach Venedig verlief schweigend.

22
    W ie Brunetti es Patta vorausgesagt hatte, waren über zwei Stunden vergangen, bis er und Vianello in die Questura zurückkehrten. Im Treppenhaus trennten sie sich. Während der Inspektor ins Dienstzimmer ging, nahm Brunetti es auf sich, dem Vice-Questore Bericht zu erstatten.
    Als Signorina Elettra ihn hereinkommen sah, huschte ein Schatten über ihr Gesicht. Sein harscher Ton, ihre Erbitterung darüber: Die unglücklichen Umstände ihrer letzten Begegnung waren augenscheinlich noch nicht vergessen. Aber dann auf einmal und ohne dass Brunetti gewusst hätte, was genau oder wodurch es ihr auffiel, schien sie erkannt zu haben, wie es um ihn stand.
    »Was ist los, Dottore?«, fragte sie ehrlich besorgt. Aller frühere Groll war wie weggeblasen.
    »Wir waren bei den Eltern des toten Mädchens«, begann er und schilderte ihr in groben Zügen, was passiert war. »Ach, die arme Frau«, seufzte sie, als er geendet hatte. »Erst ist ihr Kind verschwunden, und dann diese entsetzliche Nachricht.«
    »Ja, aber das war irgendwie ganz merkwürdig«, versetzte Brunetti. Während der Rückfahrt hatte ihn die verkrampfte Atmosphäre beim Nachdenken gestört, so dass er erst jetzt begann, sich ernsthaft mit der Reaktion der Eltern auseinanderzusetzen.
    »Inwiefern?«
    »Nun, das Mädchen war fast eine Woche verschwunden, aber keiner - weder Mutter noch Vater - hat sie als vermisst gemeldet.« Die Situation im campo nomadi vor Augen, fuhr er fort: »Und als wir kamen, wollte der mutmaßliche Anführer unbedingt verhindern, dass wir mit der Familie sprechen.«
    Als sie dazu schwieg, fragte Brunetti: »Können Sie sich vorstellen, was los wäre, wenn hier ein Kind vermisst würde? Das gäbe eine Flut von Aufrufen in Zeitungen und im Fernsehen.« Da sie immer noch stumm blieb, hakte Brunetti nach: »Na? Hab ich nicht recht?« »Doch schon. Ich weiß nur nicht, ob man von diesen Leuten die gleiche Reaktion erwarten kann wie bei uns, Commissano.« »Was wollen Sie damit sagen?«
    Sie rang nach Worten. »Ich glaube«, sagte sie endlich, »die haben ein eher gestörtes Verhältnis zu Recht und Gesetz.« »Gestört?« Brunetti war selbst verblüfft über seinen scharfen Ton. »Wie meinen Sie das?«, fragte er merklich zurückgenommen.
    Signorina Elettra legte den Stift aus der Hand und schob ihren Stuhl zurück. Brunetti fand, dass sie irgendwie anders aussah. Vielleicht hatte sie abgenommen, war beim Friseur gewesen oder hatte sich sonst wie verschönern lassen. »Nun, ich meine, wenn bei denen was passiert, dann rufen sie nicht als Erstes die Polizei, oder?« Als Brunetti sich nicht dazu äußerte, fuhr sie fort: »Was durchaus verständlich ist, wenn man bedenkt, wie ihre Leute behandelt werden.«
    Da platzte es aus Brunetti heraus: »Bis auf die Mutter hat sich keiner von denen betroffen gezeigt über den Tod des Mädchens.«
    »Ja, glauben Sie denn, die würden ihre Gefühle vor vier Polizisten ausbreiten?«, fragte sie sanft.
    Doch Brunetti hielt die Spannung nicht länger aus;

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