Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
war. Brunetti lauschte angestrengt, aber die beiden unterhielten sich in einer ihm völlig fremden Sprache. Ein verstohlener Blick in die Runde ergab, dass alle Anwesenden gebannt das Gespräch der zwei Männer verfolgten.
Als Brunetti wieder zu dem Wohnwagen hinübersah, stahl sich eine Hand an die Tür, stieß sie ein Stück weiter auf, und dann erschien gleich über der Hand das Gesicht einer Frau. Brunetti konnte sie zwar nicht gut sehen, aber er erkannte immerhin, dass es eine alte Frau war: vielleicht die Mutter des Mannes, den Danis aus dem Camper geholt hatte, vielleicht Arianas Großmutter.
Sie beugte sich vor, um dem Mann so lange wie möglich mit den Augen zu folgen, und als ihr Rock vor ihr ausschwang, erkannte Brunetti das Flattern von vorhin wieder.
Kaum dass die beiden Männer ihr Gespräch beendet hatten, trat Dottoressa Pitteri vor. »Guten Tag, Signor Rocich«, hörte Brunetti sie sagen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann, der als Letzter gekommen war.
Er war kleiner als die übrigen und untersetzt. Sein dichter schwarzer Schopf hätte mit Steiners Haaren konkurrieren können; allerdings trug er sie länger und, mit Pomade oder Öl geglättet, aus der Stirn gekämmt. Die Farbe seiner Augen war unter den mächtigen, schwarzen Brauen nicht zu erkennen. Mit seinem gestutzten Bart, den saubereren Schuhen und dem Hemdkragen, der unter seinem Pullover hervorlugte, stach er von den anderen ab.
Als er jetzt zu Dottoressa Pitteri hinübersah, blieb seine Miene so ausdruckslos, als hätte er sie nicht erkannt, ja als hätte er sie noch nie gesehen. »Was wollen von mir?«, fragte er.
»Es geht um Ihre Tochter«, antwortete sie. »Um Ariana.« Rocich, der sie nicht aus den Augen ließ, fragte: »Was ist mit Ariana?«
»Ich habe eine traurige Nachricht für Sie, Signor Rocich. Ihre Tochter ist bei einem Unfall ums Leben gekommen.« Zögernd wandte er sich nach dem Wohnwagen um, doch als die anderen seinem Blick folgten, tauchte die Frauengestalt ins Dunkel zurück, und man sah nur noch ihre vier Finger außen auf dem Türrand.
»Sie ... Tochter tot?«, stammelte Rocich. Und als die Frau nickte: »Was passieren? Unfall? Mit Auto?«
»Nein. Sie ist ertrunken.«
Seine Miene verriet, dass er das Wort nicht kannte. Dottoressa Pitteri wiederholte es etwas lauter, dann griff einer der Roma ein, und nun keimte Verständnis im Gesicht des Mannes auf. Er starrte hinunter auf seine Schuhspitzen, dann glitt sein Blick von Signora Pitteri zu den Männern hinter ihm, die er jeden der Reihe nach ansah. Lange sprach niemand ein Wort.
Dottoressa Pitteri brach endlich das Schweigen. »Ich möchte Ihrer Frau Bescheid sagen«, erklärte sie und machte einen Schritt in Richtung Wohnwagen.
Doch da schoss Rocichs Hand gleich einer Schlange hervor, packte sie am Oberarm und gebot ihr Einhalt. »Ich nicht wollen«, stieß er gepresst hervor, ohne die Stimme zu erheben. »Ich selber sagen«, fügte er hinzu und ließ ihren Arm los. Seine Hand hatte sich im Stoff des Ärmels abgedrückt.
»Sie mir gehören«, erklärte Rocich so entschieden, als erübrige sich damit jede weitere Diskussion. War es seine Frau oder die Tochter oder beide, fragte sich Brunetti, auf die er so gebieterisch Anspruch erhob?
Rocich, der schon wieder auf dem Weg zu seinem Wohnwagen war, machte plötzlich kehrt und kam zurück. In kämpferischer Pose pflanzte er sich vor Dottoressa Pitteri auf und fragte: »Wie ich wissen, ob stimmt? Wie können sicher sein, dass Tote ist Ariana?«
Die Frau wandte sich an Steiner. »Ich glaube, die Frage geht an Sie, Maresciallo.« Ihr herrischer Tonfall ließ die Männer aufhorchen. Sie tauschten beredte Blicke, und Brunetti, der sah, wie sich ihr Augenmerk auf den Mann in Uniform richtete, dem eine Frau so ungeniert Weisungen gab, fand es an der Zeit einzuschreiten.
Er trat vor, zog den Umschlag mit den Fotos aus der Tasche und drückte ihn Rocich in die Hand. Der riss das Kuvert auf, nahm die Bilder heraus und schaute sich alle drei der Reihe nach an, einmal und dann noch einmal, bevor er sie wieder in den Umschlag steckte und mit ihnen davonstapfte.
Während er die Stufen zu seinem Wohnwagen hinaufstieg, kehrte Dottoressa Pitteri zu den Polizisten beim Kombi zurück. »Ich glaube, unsere Arbeit hier ist beendet.« Damit kletterte sie, ohne Zustimmung oder Einspruch abzuwarten, in den Fond und schlug die Tür zu.
Tanovic, der Anführer, ging wortlos davon und verschwand in seinem Wohnwagen.
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