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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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lächeln, kniff er die Augen zusammen und bewegte sein Kinn minimal nach rechts in Richtung der Tische am Fenster. Am letzten bemerkte Brunetti den Hinterkopf eines Mannes; schmaler Schädel, kurze Haare. Von seinem Standort aus konnte er vom Gegenüber dieses Mannes nur den Umriss seines Kopfes sehen; breiter, die Haare länger. Er kannte diese Ohren, abstehend und nach unten abgeknickt nach Jahren unter der Polizeimütze. Alvise: und damit war auch der Hinterkopf von Tenente Scarpa identifiziert. Aha, so lief das also, wenn Alvise ins Team zurückkehrte und sich als Gleicher unter Gleichen wieder mit seinen Kollegen zusammentat.
    Brunetti trat an die Theke, erwiderte Sergios kaum merkliches Nicken und bat leise um einen Espresso. Irgendetwas in Alvises Miene musste Scarpa alarmiert haben, jedenfalls drehte er sich um und erblickte Brunetti. Scarpas Gesicht blieb ausdruckslos, aber Brunetti entging nicht, dass über Alvises Züge etwas anderes als bloße Überraschung huschte - fühlte er sich etwa ertappt? Die Maschine zischte, dann glitt eine Tasse samt Untertasse ratternd über den Tresen.
    Keiner sagte etwas; Brunetti nickte den beiden zu, wandte sich ab und riss ein Tütchen auf. Er kippte den Zucker in den Kaffee, rührte gemächlich um, bat Sergio um die Zeitung und breitete den Gazzettino vor sich auf der Theke aus. Er wollte beweisen, dass er einen längeren Atem hatte als sie, und vertiefte sich in die Lektüre.
    Er warf einen Blick auf Seite eins, wo aus der Welt außerhalb von Venedig berichtet wurde, und blätterte weiter zu Seite sieben: Es fehlte ihm an innerer Kraft - und an Lust -, es mit den fünf Seiten politischen Geschwafels dazwischen aufzunehmen; Nachrichten konnte man das kaum nennen. Seit vierzig Jahren immer dieselben Gesichter, immer dieselben Geschichten, immer dieselben Versprechungen - mit nur wenigen Variationen in Besetzung und Überschrift. Die Aufschläge ihrer Jacketts wurden breiter oder schmaler, wie es die Mode diktierte, aber es waren immer dieselben, die sich um die Futtertröge scharten. Die Opposition war gegen dies und gegen das und schwor, die gegenwärtige Regierung durch ihren selbstlosen Einsatz zu Fall zu bringen.
    Und was dann? Dann würde er nächstes Jahr am Tresen seinen Kaffee trinken und genau dieselben Worte aus dem Mund der neuen Opposition lesen.
    Geradezu erleichtert schlug er die Seite um. Die Frau, wegen Kindsmordes verurteilt, aber immer noch auf freiem Fuß, ließ durch eine neue Schar von Anwälten weiter ihre Unschuld beteuern. Und wer sollte ihrer Meinung nach jetzt für den Mord an ihrem Sohn verantwortlich sein - Außerirdische? Noch mehr Blumen an der Straßenkurve, wo vor einer Woche vier weitere Teenager gestorben waren. Und noch mehr Müll in den Straßen der Vororte von Neapel. Noch ein Arbeiter, an seinem Arbeitsplatz von irgendeiner schweren Maschine zu Tode gequetscht. Und noch ein Richter, der woandershin versetzt worden war, weil er Untersuchungen gegen ein Kabinettsmitglied angestrengt hatte.
    Brunetti zog den Venedig-Teil der Zeitung heraus. Ein Fischer aus Chioggia, verhaftet wegen Körperverletzung, nachdem er betrunken nach Hause gekommen war und einen Nachbarn mit einem Messer angegriffen hatte. Noch mehr Demonstrationen gegen die Schäden, die von Kreuzfahrtschiffen beim Durchfahren des Canale della Giudecca angerichtet wurden. Zwei weitere Fischmarkthändler machten ihre Läden zu. Noch ein Fünf-Sterne-Hotel, das nächste Woche eröffnet wurde. Der Bürgermeister prangert die zunehmende Zahl von Touristen an.
    Brunetti zeigte auf die letzten beiden Artikel. »Reizend: Die Stadtverwaltung kann gar nicht schnell genug Konzessionen für Hotels herausgeben, und wenn sie gerade mal nichts anderes zu tun hat, ereifert sie sich über die steigende Zahl der Touristen«, sagte er zu Sergio.
    »Votta d petrella, e tira d manella«, sagte Sergio und sah von dem Glas auf, das er gerade polierte.
    »Was war das? Neapolitanisch?«, fragte Brunetti verblüfft.
    »Ja«, sagte Sergio und übersetzte: »Wirf den Stein, dann versteck die Hand.«
    Brunetti lachte laut auf. »Das wäre das perfekte Motto für eine dieser neuen Parteien. Passt ganz genau: Du tust etwas, und dann verwischst du die Spuren dafür, dass du es getan hast. Wunderbar.« Er lachte weiter, die Unverfrorenheit, die in dieser Redensart steckte, erheiterte ihn.
    Links von ihm entstand Bewegung, und er hörte das Scharren von Füßen, als die Männer sich aus den Bänken schoben. Er

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