Brunetti 18 - Schöner Schein
ausgesprochen: Brunetti konnte nicht mehr darüber hinweggehen, selbst wenn er gewollt hätte. Zum Glück hatte er eine Antwort parat. »Signora, wie gesagt, ich bin kein Experte in diesen Dingen, schon gar nicht, wenn es darum geht, welche Ermittlungsmethoden die Guardia di Finanza für angemessen hält. Aber ich denke, in diesem Fall könnte die richtige Antwort auf die Frage, wer dort eindringen wollte, auch die naheliegendste sein: also die Finanza.« Brunetti, der die direkte Lüge nicht über die Lippen brachte, versuchte sich einzureden, dass es ja wirklich die Finanza gewesen sein könnte.
»La Finanza?«, fragte sie mit der Stimme eines Patienten, der eine schlimmere Diagnose erwartet hatte.
»Ich denke schon. Ja. Ich weiß zwar nichts von den Geschäften Ihres Mannes, aber sie sind doch garantiert gegen jeden Versuch geschützt, sie auszuspähen, es sei denn, ein solcher Versuch würde von ausgesprochenen Fachleuten unternommen.«
Sie schüttelte den Kopf und zog, ihre Ahnungslosigkeit bekundend, die Schultern hoch. Brunetti wählte seine Worte mit Sorgfalt. »Nach meiner Erfahrung sind Entführer keine Intellektuellen und neigen zu spontanem Handeln.« Er sah, wie aufmerksam sie ihm folgte. »Leute, die so etwas tun konnten, müssen über die technischen Kenntnisse verfügen, die man benötigt, wenn man die in den Firmencomputern Ihres Mannes installierten Sicherungssysteme überwinden will.« Er lächelte und gestattete sich ein leises ironisches Schnauben. »Ich muss gestehen, dies ist das erste Mal in meiner Laufbahn, dass es mich freut, jemanden darauf hinweisen zu können, dass er ins Visier der Finanza geraten ist.«
»Und das erste Mal in der Geschichte dieses Landes, dass der andere erleichtert ist, das zu hören«, sagte sie und fing an zu lachen. Wieder bekam sie diese Flecken im Gesicht, die Brunetti bemerkt hatte, als sie aus der Kälte ins Haus gekommen war; offenbar war das ihre Art zu erröten.
Signora Marinello stand hastig auf, bückte sich nach ihrer Tasche und reichte ihm die Hand. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Commissario«, sagte sie und ließ ihn lange nicht los.
»Ihr Mann ist ein Glückspilz«, sagte Brunetti.
»Warum?«, fragte sie irritiert.
»Weil er eine Frau hat, die sich solche Sorgen um ihn macht.«
Die meisten Frauen würden über ein solches Kompliment lächeln oder falsche Bescheidenheit heucheln. Sie jedoch trat von ihm weg und bedachte ihn mit einem ruhigen Blick, der in seiner Intensität fast etwas Grimmiges hatte. »Er ist meine einzige Sorge, Commissario.« Sie bedankte sich noch einmal, wartete, bis er ihre Sachen aus dem armadio geholt hatte, und verließ den Raum, noch bevor Brunetti zur Tür gehen und sie ihr aufhalten konnte.
Brunetti ließ sich auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder und widerstand der Versuchung, Signorina Elettra anzurufen und sie zu fragen, ob es möglich sei, dass jemand etwas von ihrem Ausflug in Signor Cataldos Firmencomputer mitbekommen hatte. Dann hätte er nämlich den Grund für seine Neugier erklären müssen, und daran lag ihm überhaupt nichts. Er hatte nicht gelogen:
Nachforschungen von Seiten der Finanza waren viel wahrscheinlicher als der Versuch irgendwelcher mutmaßlicher Kidnapper, sich Informationen über Cataldos Vermögen zu besorgen. Andererseits waren Nachforschungen der Finanza sehr viel unwahrscheinlicher als das, worum er Signorina Elettra gebeten hatte, aber eine solche Auskunft hätte Signora Marinello ganz gewiss nicht als tröstlich empfunden. Er musste einen Weg finden, Signorina Elettra darauf hinzuweisen, dass ihr flinkes Händchen beim Stöbern in Cataldos Computern geschwächelt hatte.
Natürlich machte eine Frau sich Sorgen, wenn sie erfuhr, dass jemand in den Geschäftsunterlagen ihres Mannes herumwühlte; Brunetti fand ihre Reaktion jedoch ziemlich übertrieben. Alles, was sie Brunetti an jenem Abend beim Essen erzählt hatte, hatte sie als vernünftige, intelligente Frau erscheinen lassen: Ihre Reaktion auf die Mitteilung ihres Mannes passte ganz und gar nicht dazu.
Nach einer Weile kam Brunetti zu dem Schluss, er verschwende zu viel Zeit und Energie auf etwas, das mit seinen aktuell anstehenden Fällen in keinerlei Zusammenhang stand. Um einen Strich unter die Sache zu ziehen, sollte er erst einmal einen Kaffee oder vielleicht un'ombra trinken gehen und seine Gedanken sortieren, bevor er wieder an die Arbeit ging.
Sergio sah ihm entgegen, aber statt wie sonst zu
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