Bruno Chef de police
Beweise.«
»Zugegeben«, erwiderte Tavernier. »Deshalb bin ich dafür, dass die Kriminaltechnik einen zweiten Blick auf den Tatort und die Sachen unserer Verdächtigen wirft. Könnten Sie das veranlassen, Mademoiselle? Vielleicht haben unsere Kollegen mehr Erfolg, jetzt, wo sie wissen, wonach sie suchen sollen. Wären damit nicht auch Ihre Zweifel ausgeräumt, Chefinspektor? Oder sollte ich vielleicht Experten aus Paris zu Rate ziehen?«
Jean-Jacques schüttelte den Kopf. »Unsere Leute sind sehr tüchtig. Ich glaube kaum, dass sie etwas übersehen haben.«
»Haben Sie denn noch Zweifel?«, fragte Tavernier beiläufig, aber mit leicht irritiertem Unterton.
»Mir ist das Motiv noch nicht klar«, antwortete Jean-Jacques. »Es deutet zwar alles auf eine politisch motivierte Tat hin, aber warum trifft es ausgerechnet diesen Araber? Warum zu diesem Zeitpunkt und auf so brutale Weise, indem man den alten Mann fesselt und wie ein Schwein schlachtet?«
»Warum es ihn erwischt hat? Weil er allein war und zu alt, um sich wehren zu können«, dozierte Tavernier. »Und sein entlegenes Häuschen war der ideale Ort für diesen rituellen Mord. Zumindest im Kalkül dieser Nazipsychopathen. Und dann haben sie diese Medaille mitgehen lassen, um zu demonstrieren, dass ihr Opfer gar kein waschechter Franzose war. So, und jetzt wird's Zeit, dass ich mir die beiden kleinen Faschisten selbst einmal vorknöpfe. Mir bleiben dafür noch zwei Stunden, nicht wahr, bevor es in dieses kleine Städtchen weitergeht - wie heißt es noch? - ah ja, Saint-Denis. Nicht gerade ein hübscher und vor allem kein seltener Name, aber ich bin überzeugt, der Minister und ich werden es ganz entzückend finden.«
Jean-Jacques' Büro passte überhaupt nicht zu seiner äußeren Erscheinung, die eher ausladend und ungepflegt wirkte, ganz anders als der aufgeräumte Schreibtisch mit den sorgfältig gestapelten Unterlagen. Eine Zeitung lag bündig am Rand des kleinen Tisches, vor dem sie saßen und einen kräftigen Kaffee tranken, den Isabelle in ihrem Nebenzimmer gebraut hatte. Jean-Jacques hatte seine Schuhe ausgezogen, strich sich das zerzauste Haar glatt und blätterte in einer Akte, die ihm von Isabelle vorgelegt worden war. Sie trug einen dunklen Hosenanzug, einen roten Schal und Trainingsschuhe, die ziemlich teuer aussahen. Bruno wurde ein wenig verlegen angesichts ihrer kühlen, geschäftsmäßigen Miene und in Erinnerung an die Phantasien, die er vorvergangene Nacht nach ihrem Weggang gehabt hatte.
»Die Akte aus Hamids Militärzeit gibt mir einige Rätsel auf«, sagte Jean-Jacques. »Hier steht, dass er am 28. August 1944 der Ersten Division der französischen Streitkräfte beigetreten ist und den
Commandos d'Afrique
unterstellt war. Seine Einheit gehörte zum sogenannten Romeo-Bataillon, das am 14. August 1944 in Südfrankreich an Land gegangen ist und einen Ort namens Cap Nègre eingenommen hat. Zum Zeitpunkt der Invasion war Hamid also noch nicht Mitglied dieser Truppe. Er kommt erst zwei Wochen später ins Spiel, nämlich während der Besetzung von Brignolles, einem entlegenen Kaff in der Provence.«
»Ich habe mich im Militärarchiv erkundigt und einen der Angestellten gesprochen«, berichtete Isabelle. »Er sagte, dass es für Mitglieder der Résistance nicht ungewöhnlich gewesen sei, den Streitkräften beizutreten und für die gesamte Kriegsdauer auch zu bleiben. Die
Commandos d'Afrique
waren eine Einheit der Kolonialarmee, die ursprünglich aus Algerien kam und aus Algeriern bestand. Sie hatten bei Draguignan schwere Verluste erlitten, brauchten unbedingt Verstärkung und suchten sie unter den Freiwilligen der Résistance vor Ort. Weil unser Hamid Algerier war, wurde er rekrutiert und blieb bis zum Ende des Krieges. In der Winterschlacht in den Vogesen wurde er zum Korporal befördert, verwundet und musste zwei Monate im Lazarett verbringen. Im April 1945, als er mit seiner Einheit kurz vor der Kapitulation der Deutschen in Deutschland einmarschierte, wurde er zum Sergeanten befördert.«
»Und nach Kriegsende blieb er in der Armee?«, fragte Bruno.
»So sieht's aus«, antwortete Jean-Jacques und las aus der Akte vor. »Er wechselte in das 12. Regiment der
Chasseurs d'Afrique
und ging mit nach Vietnam, wo er nach einem gescheiterten Versuch, die Garnison bei Dien Bien Phu zu retten, mit dem
croix de guerre
ausgezeichnet wurde. Seine Einheit kehrte dann nach Algerien zurück und war dort bis zu ihrer Auflösung 1962 stationiert. Kurz
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