Brut des Teufels
behandschuhte Hand zum Spiegel aus und berührte ihn sanft, während er die Spiegelschrift anschaute. Er spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich, und einen Moment lang hätte er fast das Bewusstsein verloren. Dann holte er tief Luft und drehte sich um. Die Kacheln waren blitzblank. Nightingale blinzelte und schüttelte den Kopf, doch an der Wand stand nichts. Er rieb sich das Gesicht und schluckte. Sein Mund war trocken geworden, und so bückte er sich und trank aus dem Kaltwasserhahn. Dann ging er wieder nach unten, verließ das Haus durch die Terrassentür und schloss sie wieder. Er stellte den Spaten in den Schuppen, machte die Tür zu und ging wieder zurück. Es war niemand zu sehen, als er aus dem Gartentor auf die Straße trat, und auf dem Rückweg zum Hotel steckte er sich eine Zigarette an.
15
Nightingale frühstückte im Hotel– Eier, Speck, Würstchen, Tomate, Pilze, weißen Toast und Kaffee im Restaurant selbst, gefolgt von drei Zigaretten, die er an einem Tisch im Garten rauchte– und ging dann zu dem Haus, in dem Connie Millers Eltern lebten. Es war ein kleines Backsteinhaus am Stadtrand, umstanden von hohen Nadelbäumen, die im Wind schwankten. Der Himmel war grau bewölkt, und ein halbes Dutzend Seemöwen hockten auf dem Dach.
Nightingale trat zur Haustür. Es gab keine Klingel, aber in der Mitte der Tür war ein verwitterter Eisenklopfer in Form eines Eulenkopfs mit einem Ring durch den Schnabel angebracht. Er klopfte, trat dann zurück und betrachtete das Häuschen. Im Obergeschoss waren die Vorhänge vor den Fenstern zugezogen. Er klopfte erneut, hörte einen Hund bellen, drehte sich um und sah eine ältere Frau in einem Dufflecoat, die einen Cockerspaniel an der Leine führte. Er nickte ihr lächelnd zu, als sie vorbeiging. Schaute auf seine Uhr. Neun Uhr früh. Vor dem Haus stand kein Wagen, es war also möglich, dass die Millers das Haus bereits verlassen hatten. Noch einmal klopfen, dann nahm er das Handy aus der Manteltasche. Im Hotel hatte er keinen Empfang gehabt, aber hier wurde eine ausreichende Signalstärke angezeigt. Er rief die Auskunft an. Die Dame dort hatte die Nummer der Millers rasch parat, und Nightingale bat sie, ihn durchzustellen. Er hörte den Freiton und gleich darauf ein leises Klingeln im Haus. Keiner nahm ab, und Nightingale legte auf. Er ging zur Garage neben dem Haus. Das Tor wurde nach oben aufgeschoben und war nicht verschlossen. Drinnen stand ein dunkelblauer VW Passat.
» Na toll«, murmelte Nightingale. Er wusste, dass er sich verdrücken sollte. Ja, er sollte zum Hotel zurückkehren, in seinen MGB steigen und zurück nach London fahren. Er könnte von London aus anrufen und seine Fragen dann stellen, und wenn niemand abnähme– nun, dann wäre es eben so. Er hatte den Zahnbürstenkopf und die Bürste mit den Haaren, und mehr brauchte er nicht, um herauszubekommen, ob Connie Miller seine Schwester war oder nicht. Er schloss das Garagentor.
Neben der Garage befand sich ein Holztor. Es ließ sich auf gut geölten Angeln lautlos öffnen. Nightingale hatte ein flaues Gefühl in der Magengrube, als er den Gartenweg entlangging, und seine Gedanken rasten. Der Wagen in der Garage legte nahe, dass jemand zu Hause war, aber warum wurde in diesem Fall das Telefon nicht abgenommen, und warum reagierte niemand auf den Türklopfer? » Weil sie tot sind«, hallte es durch seinen Kopf. »Sie sind tot, du wirst ihre Leichen finden, und dann ist die Kacke wieder am Dampfen.«
Nightingale brauchte eine Zigarette, wusste aber, dass jetzt nicht die Zeit zum Rauchen war. Der Garten war ein sauber gemähtes Rasenviereck mit einer Nadelbaumreihe an der Grenze zum Nachbargrundstück. In einer Ecke stand ein hölzernes Vogelfutterhäuschen mit einem erdnussgefüllten Drahtbehälter darin. Zwei Blaumeisen flogen weg, als Nightingale zur Küchentür ging. » Wenn sie verschlossen ist, lasse ich es gut sein«, flüsterte er bei sich. » Dann sehe ich zu, dass ich hier verschwinde.« Er legte eine behandschuhte Hand auf den Türgriff und drückte ihn herunter. Die Tür ging auf– und Nightingales Herz begann zu hämmern.
Er trat in die Küche und machte die Tür sorgfältig hinter sich zu. » Mr Miller? Mrs Miller? Hallo? Ist jemand hier?«
Neben der Spüle stand ein elektrischer Wasserkocher, und Nightingale berührte ihn mit dem Rücken seines Handschuhs. Selbst durch das Leder hindurch spürte er, dass der Kessel heiß war. Sein Mund war so trocken geworden, dass es wehtat,
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