Buch Der Sehnsucht
wissenschaftliche Erarbeiten einer neuen Begrifflichkeit. Sie war der Versuch, seiner Sehnsucht nach dem unbegreiflichen Gott Ausdruck zu verleihen. Wenn er an sich selbst und der eigenen Unzulänglichkeit litt, wenn er sich unverstanden und einsam fühlte, dann war das für ihn Anlass, sich umso stärker nach dem Gott zu sehnen, der sich gerade in der Verlassenheit und Einsamkeit des Kreuzes als unbegreifliche Liebe offenbarte. Er sprach immer wieder davon, dass es letztlich darum gehe, sich in das Geheimnis der unendlichen Liebe Gottes fallen zu lassen und vor dem oft dunklen und unbegreiflichen Gott zu kapitulieren und sich ihm zu ergeben. Das war seine tiefste Sehnsucht. Und ich kann diese Sehnsucht gut verstehen. Bei allem Bemühen, über Gott und über den Menschen richtig zu schreiben, spüre ich immer wieder mein Unvermögen. Und ich sehne mich wie Karl Rahner danach, diesen Gott, von dem ich immer nur stammeln kann, zu erfahren und in der Kapitulation der Liebe mit ihm eins zu werden.
DIE FLAMME ENTFACHEN
Wir müssen die Flamme entfachen, mag es kosten, was es will. Um jeden Preis müssen wir in uns selbst die Sehnsucht und die Hoffnung auf die große Ankunft erneuern." Der französische Jesuit und Naturforscher Teilhard de Chardin richtet diese Aufforderung an seine Leser. Welche spirituelle Leidenschaft ihn selber antrieb, erspüren wir aus dieser Aufforderung: Er war von einer leidenschaftlichen Liebe zur Materie und zugleich zu Gott erfüllt. Dessen Ankunft wollte er im Herzen der Welt erfahren. Er stand der Wirklichkeit, die er erforschte, nicht wie einer objektiven Gegebenheit gegenüber. Für diesen weltberühmten Paläontologen ist die Materie erfüllt von Gottes Geist und seiner Liebe. Die Evolution geht immer mehr auf eine Amorisation hin, d. h. auf ein Durchdringen der Welt von der Liebe Jesu Christi. In ihm ist die Liebe Gottes Fleisch geworden und will diese Welt immer mehr von Grund auf verwandeln. Teilhard fordert uns auf, in uns die Flamme der Sehnsucht zu entfachen. Diese führte ihn dazu, leidenschaftlich mit allen suchenden Menschen das Geheimnis dieser Welt zu ergründen und überall das göttliche Geheimnis zu entdecken. Die Liebe zu dieser Welt und sein Verständnis von Evolution ließen ihn die biblische Botschaft von der Ankunft Christi am Ende der Welt auf ganz neue Weise verstehen. Für ihn geht alle Entwicklung auf den Punkt Omega zu, auf das transzendente Zentrum der Welt. Die Sehnsucht, die Teilhard antrieb, war keine Weltflucht. Im Gegenteil, sie führte ihn immer tiefer in das Herz der Materie. Sie ließ ihn für viele Menschen, die sich vom Christentum abgewandt haben, zu einer Hoffnungsgestalt werden. Denn er kann ihnen zeigen, dass ihre Suche nicht Weltflucht bedeuten muss, sondern im Gegenteil eine neue Liebe zur Welt beinhaltet, eine leidenschaftliche Liebe zu der Materie, in der sich Gott in seinem Sohn inkarniert hat, um sie mehr und mehr in die Einheit mit sich zu führen.
NICHT ZU VEREINNAHMEN
Biblische Religion lebt aus der Sehnsucht. Der Begründer der „Kritischen Theorie" und der Frankfurter Schule, Max Horkheimer, sieht in seiner jüdischen Wurzel, die dies immer bewusst hielt, einen Grund dafür, dass er auch als Philosoph für die Theologie eintritt. Als Theologie versteht er dabei nicht die Wissenschaft von Gott, sondern „die Sehnsucht danach, dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge". Für ihn hat die Religion eine wesentliche Aufgabe in dieser Welt. Sie soll „dem Menschen bewusst machen, dass er ein endliches Wesen ist, dass er leiden und sterben muss; dass aber über dem Leid und dem Tod die Sehnsucht steht, dieses irdische Dasein möge nicht absolut, nicht das Letzte sein". Horkheimer spric ht von der Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Gott selbst kann man sich nicht mehr vorstellen. Und als Jude vertritt er das alttestamentliche Gebot, dass man sich von Gott kein Bild machen solle, „dass Gott nicht darstellbar ist, dass aber dieses Nicht-Darstellbare der Gegenstand unserer Sehnsucht ist". Die Religion hat die Aufgabe, die Sehnsucht nach dem ganz Anderen wach zu halten. Die Sehnsucht verlangt nach konkreten Ausdrucksformen. Indem der Mensch in der Kirche oder in der Synagoge Liturgie feiert, indem er die Gebote Gottes beachtet, hält er seine Sehnsucht nach dem ganz Anderen lebendig. Daher ist Horkheimer skeptisch, wenn sich die Religion allzu sehr den weltlichen Maßstäben anpasst. „Religion kann man
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