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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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schwiegen eine Weile, und so wie der Pfarrer Amen sagte, wenn der Chor sein Lied gesungen hatte, sagte Großvater seufzend: Wer weiß, wo seine Knochen vermodern. Ich stellte mir ausgeblichene Knochen vor, die am Wegrand zerfielen, aber allmählich erfuhr ich, dass ebenso wie das über die Ufer getretene Wasser, das letztlich doch im Boden versickert, die Toten noch so viel Leben in sich haben, dass sie die Erde aufwühlen und sich in ihren Rissen verkriechen können, wie ein Mensch, der im Schlaf die Hände nach der Decke ausstreckt, um sich darin einzuwickeln. Die Erde widersetzt sich nicht, sie ist gut und heilsam, alles deckt sie zu.
    Um mir diesen weißen Fleck meiner Kindheit erklären zu können, bei dem das einzig klare Gefühl der süße Geschmack der Totenspeise war, begab ich mich auf die Suche nach Aurel Dimofte.
    Wir befinden uns im Jahre 1949. Und gleichzeitig sind wir im November 1957, als über den Feldern der Sereth-Senke schon der Crivăț 17 wehte. Auch befinden wir uns im Jahre 1964, diesmal bin ich zusammen mit den anderen Personen des
Buchs des Flüsterns
, und unsere Finger greifen nach der breiigen Totenspeise. Und wir sind im November 2005, da sich die Zeitläufte anscheinend verändert haben, allein deshalb, weil sich der Druck, verfolgt zu werden und im Flüsterton sprechen zu müssen, umgewandelt hat in das bedrückende Gefühl, frei zu sein und nicht zu wissen, was man sagen soll, vor allem deshalb, weil man nicht wusste, was man zuerst aussprechen sollte.
    Im Jahre 1949 geht es nicht um Personen aus dem
Buch des Flüsterns
, sie leben außerhalb. Vielmehr sind es solche, die gegen die Bücher hetzten und die Leute ermahnen, sie ins Feuer zu werfen. Im
Buch des Flüsterns
wird von dem Tag erzählt, als die Bücher brannten. Wie am Tag des Kindermords nicht alle Kinder umgebracht werden konnten, gelang es auch am Tag der Bücherverbrennung nicht, sämtliche Bücher zu vernichten. Im Krieg zwischen der Herrschaft und den Büchern kann die Herrschaft niemals obsiegen, wiewohl bloß die Bücher sterben. Denn die Menschen haben sehr viel mehr geschrieben, als ihnen zu vergessen möglich ist.
    Als sie feststellten, wie mühsam ihr Kampf gegen die Bücher ist, entdeckten die neuen Machthaber einen bis dahin noch nicht beschrittenen Weg, sich durchzusetzen: Sie hetzten die Bücher aufeinander. Aber so wie die Vögel bei ihrem Flug über die Meere hin und wieder einen Bodenflecken benötigen, um sich niederzulassen, so bedürfen die Bücher zu ihrem Überleben der Menschen, die sie lesen, die ihre Deckel aufschlagen und darin blättern, damit sie atmen können. Sonst verenden sie erschöpft, wie es den neuen lärmenden Büchern geschehen ist, die in der Zeit geschrieben wurden, als die Menschen im Flüsterton sprachen. Aber zu jener Zeit war der Rauch der Scheiterhaufen noch nicht verflogen, und mit dem Verfassen neuer Bücher wurde eben erst begonnen, die kommunistischen Autoritäten umklammerten ihr Stückchen Ewigkeit, als hielten sie das Seil im Glockenturm fest, sie liefen rot an und platzten vor Stolz, wenn sie das ohrenbetäubende Gebimmel vernahmen. Dem sie, als reichte dies nicht, ihr an sich selbst gerichtetes, unermüdliches und abgehacktes Beifallsklatschen hinzufügten.
    So muss die Vollversammlung des Zentralkomitees der Rumänischen Arbeiterpartei vom 3. bis 5. März 1949 verlaufen sein, in der die Kollektivierung der Landwirtschaft beschlossen wurde. Nachdem die vermögende Bauernschaft durch das System der Zwangsabgaben mürbe gemacht worden war, die Weigerung, diese Abgaben zu entrichten, hieß Sabotage und staatsfeindliche Aktion, somit Beschlagnahmung des Besitzes und Gefängnis, musste nun die gleiche Bauernschaft überzeugt werden, sich zusammenzutun, den Boden und einen Teil der Gerätschaften dem Kollektiv abzutreten. Man teilte die Bauern in drei Kategorien ein: arme, mittelständische und reiche Bauern, also ausbeuterische Großgrundbesitzer. Die arme Bauernschaft war eine leichte Beute, während gegen die Mittelbauern und die Großgrundbesitzer eine richtige Verfolgungsjagd losgetreten wurde. Die Region Constanța war die erste, die vollständige Kollektivierung vermeldete, dann folgten der Süden des Bărăgan und die Sereth-Senke. Über diejenigen, die sich widersetzten, kursierten allerlei Gerüchte, sie waren nicht unbegründet und wurden gezielt verbreitet, um den Leuten Angst einzujagen.
    In der Region Galați hatte man die Gebiete südlich von Focșani, Suraia und

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