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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Vadu Roșca etwas hintangestellt. Die Menschen dort galten als widersetzlich, es gab nur wenige Arme, und Suraia war eine der am stärksten bevölkerten Niederlassungen des Bărăgan.
    Es gab zweierlei Vorboten: Agitatoren und Werber. Einige davon waren aus dem Ort, die meisten aber kamen von außerhalb. Die armen Bauern, die keinen Boden besaßen und gewohnt waren, schwer zu arbeiten, den Rücken hinzuhalten oder sich beim Leichenschmaus herumzudrücken, die Zigeunerschaft vom Dorfrand und die Tagelöhner, die sich zu den Ernten verdingten, bekamen Kleidung, Mützen und Knüppel aus altem Weidenholz. Als die ersten Lastkraftwagen mit Lebensmitteln nach Suraia kamen, mit runden Schwarzbroten und dicken gesalzenen Frischwürsten, mit Weinfässern, aus denen der Wein in Blechkannen verteilt wurde, freuten sich einige und eilten hin, um gleich an Ort und Stelle rings um den Lastkraftwagen zu trinken und zu essen. Andere aber waren traurig. Es gibt nichts umsonst, dachten sie, und tatsächlich, die so dachten und nicht zu Brot und Wurst drängelten, sollten für das, was sie nicht gegessen haben, teuer bezahlen.
    Wir unterhalten uns; wieder ist es November, aber 2005. Vasile Niculiță, Gheorghe Porumboiu, Damian Pătrașcu, Sterian Răducanu, Gheorghe Mocanu. Die Hausherrin, Tochter des Damian Pătrașcu, hat eine Karaffe mit Wein und einen in dicke Scheiben aufgeschnittenen Zopfkuchen gebracht. Sie stoßen an, benetzen ihre Lippen mit Wein, doch dann trinken und essen sie nicht. Ungläubig, aber auch neugierig betrachten sie diesen Fremden, ein Mann in den besten Jahren, sie können es kaum glauben, dass jemand wie ich aus Bukarest bis hierher gekommen ist, um sich ihre Geschichte anzuhören. Aber ich bin kein erwachsener Mann in den besten Jahren, obwohl ich über einen Meter achtzig groß bin, mein Haar grau ist und schütter, auch bin ich nicht aus Bukarest, sondern von dort, zwölf Kilometer weiter nördlich, nämlich aus Focșani, und ich bin das Kind, das die Totenspeise zum Andenken an Aurel Dimofte isst.
    Plötzlich wandte sich Vasile Niculiță zu dem Mann rechts von ihm, Gheorghe Mocanu, und sagte: Du aber gehst raus! Dann zu mir: Ich sage nichts, bis Sie den nicht rausgeschmissen haben! Und der, also Gheorghe Mocanu, schaute verlegen, auf alles gefasst, zu bleiben ebenso wie hinausgeworfen zu werden; so alt und körperlich abgezehrt, wie sie waren, konnte ich den einen nicht vom anderen unterscheiden, auch wusste ich nicht, warum von den Überlebenden von damals die einen bleiben durften und andere nicht. Sie aber wussten es. Weil er einer der Werber war, klärte mich Porumboiu auf. Einer von denen, die in die Höfe eindrangen, die Leute mit Gefängnis bedrohten und ihre Finger in der Türkante einklemmten, wenn sie nicht bereit waren, sich in die Kollektivwirtschaft einzuschreiben.
    Es sind viele Agitatoren und Werber gekommen, erzählen sie, und ihre Worte überlagern sich. Begonnen hat es vor dem Haus von Culae Focșa in Suraia. Es waren etwa achthundert Agitatoren und Werber, sagt Sterian Răducanu; ach nein, sagt Ghiță Porumboiu, es waren nicht mehr als zweihundert. Jedenfalls waren es viele, einigen sie sich dann. Nachdem sie Essen und Getränke verteilt und den Verstand der Leute benebelt hatten, begannen sie, in die Höfe einzudringen. Die nicht unterschreiben wollten, wurden auf die Lastkraftwagen geladen und durch die Dorfstraßen gefahren, damit sie Angst bekämen.
    So pflanzte sich Vasile Niculiță vor Culae Focșas Haus auf und versperrte dem Lehrer Gheorghe Mocanu den Weg. Dieser, den ihr hier seht, einer von uns, und nicht etwa ein Schuft, den sie von woanders mitgebracht hatten, geleitete sie zum einen und anderen: Der ist anständig, nehmt ihn im Guten, dieser ist widersetzlich, geht gleich zu mehreren hinein, damit sein Weib und seine Kinder einen Schrecken kriegen, und seid auf der Hut, so redete der. Und warum »seid auf der Hut«? Wozu musst du dich vorsehen, wenn du meinen Garten betrittst und als anständiger Mensch kommst, sag? Gheorghe Mocanu, ebenso wie die anderen alt und eingeschrumpft, sagte nichts, und während die anderen aufgeregt herumfuchtelten, saß er mit eingesackten Schultern still da, die Hände im Schoß. So hab ich ihn auch gefragt: Warum gehst du da rein in die Häuser der Leute und überrumpelst sie? Sagt er: Damit ich dir den Antrag aushändige zum Eintritt ins Kollektiv. Damals saß er nicht so stumm da wie jetzt, damals hatte er eine Stimme, denn hinter ihm

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