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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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sich neues Unheil ankündigt, tritt am Ende des Dorfes ein kleiner Zivilist in einem marineblauen Mantel aus dem Dunkel. Woher kommst du, hält er mich an. Aus Vadu Roșca. Er hatte einen barschen Ton, aber die Worte klangen irgendwie falsch. Er sollte die Stimme bald wiedererkennen, eher noch als die Gestalt, die er bei der Dunkelheit nicht gut hatte sehen können. Bis zur Besessenheit sollte er sie hören und Tausende Male jene Nacht mit ihren Schrecken durchleben, die sich mit dieser widerwärtigen Stimme verband – die mit dem R-Fehler und dem gezischten S, das Gestottere, das diesen Nicolae Ceaușescu kennzeichnete, den sie aus Bukarest geschickt hatten, damit er ein für alle Mal mit den Widersetzlichkeiten der Bauern in der Sereth-Senke Schluss mache. Was hast du zu dieser Uhrzeit hier zu tun? Ich bin meine Frau abholen gekommen! Das sagte er, ohne zu merken, ob der andere ihm glaubte oder nicht. Doch jenen, nämlich Nicolae Ceaușescu, kümmerte dies überhaupt nicht. Was ist los in Vadu Roșca? Sind da die Leute mit Heugabeln und Äxten unterwegs? Sterică Răducau wandte den Blick leicht zur Seite, um zu sehen, ob man am Himmel etwa einen rötlichen Schatten von den Fackeln und dem Tanz sehen könne. Aber der Himmel hing wie eine Glocke über allem, schwarz und unbewegt. Also wandte er sich wieder um und sagte: Hab keine gesehen. Rauchst du? Ja, ich rauche. Ceaușescu gab ihm eine Zigarette und streckte ihm auch das brennende Streichholz entgegen, das er ihm eine ganze Weile vor das Gesicht hielt. Er schaute dich an, um sich dein Gesicht einzuprägen, sagt Damian Pătrașcu. Das dachte ich auch, darum, und nur darum. Ich konnte nicht mehr, meine Knie waren weich geworden. Kann ich gehen?, fragte ich. Kannst du. Ich ging, aber ich stolperte beim Gehen über meine eigenen Beine. Er hat mir lange hinterhergeschaut, und deshalb bin ich auch nicht gleich gelaufen, erst als ich schon weiter weg war. Aber er hat mir nicht geglaubt, er wusste, dass ich ihn angelogen hab. Als er mich beim Feuer des Streichholzes betrachtet hat, schaute er mir nicht in die Augen, er schaute auf meine Hand, in der ich die Zigarette hielt, und er sah, wie diese zitterte, dass ich Angst hatte, weil ich log. Er wusste, dass ich ihn angelogen hab. Und warum hat er dich nicht sogleich verhaftet? Warum sollte er mit mir seine Zeit vertun. Er wusste doch, dass er mich am nächsten Tag verhaften würde oder in der nächsten Woche, denn ich hatte keine Fluchtmöglichkeit mehr. Keiner von uns hat mehr fliehen können, sie haben uns alle gefangen und verhaftet, ja, sogar noch mehr als alle.
    Nițu Stan hörte sich seine Geschichte an und wusste, dass sie kommen würden und es keinen Weg einer Umkehr mehr gab. Er ging zu den anderen. Auf der Straße holte ihn sein Junge ein, der war eben sechs Jahre alt geworden, und streckte ihm das große Messer entgegen, das für die Schweineschlacht: Papa, nimm das Messer, damit sie dich nicht umbringen ... Sie versammelten sich am Dorfrand auf der Focșani zugewandten Seite. Jeder brachte etwas mit, alte Pferdewagen, dicke Bretter, große Steine, Tische aus ungehobeltem Eichenholz, Zuber. Du, sagte Stan Nițu zu Ionuț Cristea, steig in den Glockenturm. Wenn du siehst, dass sie kommen, läutest du die Glocken. Das sagte ich zu ihm, ich hätte es besser nicht gesagt, denn auch heute noch hab ich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn in den Tod geschickt hab. Und Vasile Haralambie ist ihm noch gefolgt, ein Junge, der war keine zwölf Jahre alt. Der arme Junge, als sie ihn unter der Treppe des Glockenturms fanden, haben sie ihn blau und schwarz geschlagen, der hatte Schüttelfrost bis Dreikönig. Es war still, also war noch Zeit. Sie stellten den Laster quer, den die Knüppelbande am Tag davor zurückgelassen hatte. Alles, was sie sonst noch auftreiben konnten, packten sie dazu: Pferdefuhrwerke, Steine, Kessel, die man sonst zum Fettbraten benutzt, Hackklötze, sie verkeilten Bretter, um alles abzustützen, haben die Löcher mit Werg zugestopft, damit alles dicht sei. Radus Dana ist auf die Fahrerkabine des Lasters gestiegen und wedelte wie verrückt mit ihrem Kopftuch, als wäre es eine Fahne. Nur Nițu Stan hatte sein altes Gewehr aus dem Krieg dabei, aber er hatte keine Patronen dafür, also hielt er es am Lauf und fuchtelte mit dem Kolben herum als wäre es eine Streitaxt. Die anderen alle hatten mitgebracht, was sie auf ihren Höfen so fanden, Beile, Heugabeln, Spaten, Knüppel zum Verjagen der Wölfe,

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