Buch des Flüsterns
Tünche über die Wände der Kirche geflossen, und die ganze Kirche wäre nun ein Glockenturm mit Messingwänden. Die Glockenschläge wurden schier ohrenbetäubend, sodass sich die riesige Kirche erhob, ihre Grundmauern an den Rand des Horizonts setzte, und der Himmel zu einer messingfarbenen Kuppel wurde, aber eine noch viel größere Glocke schlug an die Wände des Himmels. Die Maschinengewehre zerhackten den Glockenturm, aber die Glocke läutete weiter. Die Panzer fuhren unter fortgesetztem Schussgeknatter langsam los und fegten die Barrikade weg, als wäre sie ein Maulwurfshügel gewesen, über ihre stählerne Haut schüttelten sie gleichermaßen Bretter und Leiber. Die Verwundeten krochen ihnen aus dem Weg, um nicht von den Raupenketten zerquetscht zu werden. Die Maschinengewehre fegten jetzt nur noch über den Glockenturm, es war ein gewaltiger Kampf entbrannt zwischen dem Geläute und dem Sirren der Kugeln, bei dem die Glocke den Sieg davontrug, auch wenn vom Turm, der Putz von Kugeln zerfressen, zerfetzt und im weißen Staub und Qualm des Kalkanstrichs erstickt, nur noch eine arg zerlumpte Hülle übrig geblieben ist. Bis sich langsam das Rohr eines der Panzer erhob und eine Haubitze losfeuerte, die in die Mitte des Glockenturms zielte. Ionuț Cristea war gewiss schon einige Zeit früher gestorben, und die Glocke hatte alleine weitergekämpft. Die Haubitze erschoss nun auch die Glocke.
Als das Geläut verstummte, schwiegen auch die Patronen. Es wollte nicht aufhören, erinnerten sich welche, wir dachten, sie würden uns alle umbringen. Es hat bloß etwa zehn Minuten gedauert, sagten andere, es war wie Hagelschlag, ein Sommerguss.
Als alles schwieg, konnte man auch das Jammern der Verwundeten hören. Bis dahin waren sie eine Art beweglicher Ziele, ungelenke Leiber aus Werg, die sich mit seitlich ausgestreckten Armen um die eigene Achse drehten oder niederknieten und mit den Handflächen die Stellen drückten, an denen sie die Kugeln getroffen hatten, die auf dem Boden krochen, sich mit den Fingernägeln an den Boden klammerten und mit den Sohlen auf dem gefrorenen Erdreich Stufen suchten, auf die sie sich hätten stützen können, als wären sie über eine Treppe gegangen, die Schwächsten suchten Zuflucht in den Armen der Großen, die Blutenden in den Armen anderer Blutender, denn das Blut hatte sich zu vermischen begonnen, sodass man nicht mehr unterscheiden konnte, wessen Wunde diese war.
Ich hatte mich unter die Treppe des Glockenturms gekauert, erinnert sich Vasile Haralambie. Nun schlug die Glocke alleine, als wäre sie lebendig gewesen. Ionuț war tot, seine Hände umklammerten das Seil, Gesicht und Kleider waren bedeckt mit Blut und dem Kalk der Wände. Mit solcherart weißem Gesicht wirkte er wie einer der Heiligen, die auf die Kirchenwände gemalt sind. Dann hörte man einen gewaltigen Krach, und es gab ein Licht wie bei einem Blitzschlag. Die Glocke verstummte. Soldaten kamen. Einer von ihnen hat das Bajonett gezogen und seine Hände mit der Schneide gelöst, damit sich das Seil nicht mehr bewegte.
Dann hab ich die Glockenschläge wie im Traum gehört, erinnert sich Ioniță Haralambie. Ich dachte, ich sei tot und in der Himmelskirche angelangt, aber ich hab die Augen aufgeschlagen und gesehen, wie sie von den Lastern stiegen und zwischen uns, den Verwundeten, einhergingen, die Gewehre niedrig haltend, auf unsere Köpfe zielend.
Uns, die wir noch lebten, erinnert sich Marin Crăciun, rammten sie den Gewehrlauf an den Hals, um uns in Todesangst zu versetzen, wenn es uns denn noch nicht gereicht hatte. Die Toten drehten sie mit dem Gewehr um, und wenn dies nicht ging, mit den Schnürstiefeln an ihren Füßen, damit das Gesicht zu sehen war. Aber sie gaben sich nicht die Mühe, denen, die hier offenen Auges in diesen schrecklichen Tod gegangen waren, wenigstens die Augen zu schließen.
Ich blieb auf den Knien und konnte nicht mehr aufhören zu weinen, erinnert sich Costică Arbănaș. So wie andere vor Angst in die Hosen machen, hab ich es mir über die Wangen rinnen lassen. Ich atmete das Weinen aus und ein, röchelte. Die Tränen waren heiß und flossen in Strömen, man hätte meinen können, ich weinte Blut. Da blieben zwei bei mir stehen, und einer der beiden setzte mir den Gewehrlauf an die Stirn, doch der andere sagte: Lass ihn, siehst du denn nicht, dass er den Verstand verloren hat? Und so blieb ich da bis um die Mittagszeit knien und erinnere mich an rein gar nichts. Nur dass ich wie ein
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