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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Baumstamm auf die Straße gefallen bin und auch dann nicht aufgehört hab zu weinen. Als ich aufwachte, brach der Abend an, und um mich herum war nichts mehr, nur noch ein süßlicher Geruch nach geronnenem Blut. In der Schule war das Licht an. Ich ging hin und schaute durch das Fenster. Da wurden Leute geschlagen, in einem anderen Raum lagen die Toten kreuz und quer übereinandergeworfen. Erst jetzt, angesichts dieses Grauens, versiegten mir die Tränen ...
    Den Cristea haben sie aus dem Glockenturm gezerrt, erinnert sich Lazăr Sandu, und vom Dach heruntergeworfen. Er plumpste herab wie ein toter Vogel. Dann zogen sie ihn an den Händen bis auf die Mitte der Straße. Die Stelle, auf die er gefallen war, sah aus wie ein roter Pilz, und eine rote Linie, an den Stellen unterbrochen, wo sein Kopf gegen Erdklumpen gestoßen war, schien auf dem Boden eine Grenze zu markieren.
    Marinică Mihai starb zusammengekauert, erinnert sich Ioniță Haralambie. Man hätte meinen können, er sei ein schlafendes Kleinkind, wäre da nicht das Blut gewesen, das eine Pfütze unter ihm gebildet hatte. Sein Hund kam und leckte ihm über die Wange, aber auch dieser merkte, dass er kalt und reglos war. Dann hat der Hund am Blut geschnuppert und daran zu lecken begonnen. Den armen Hund trifft keine Schuld, das Blut war noch wärmer, und, wer weiß, vielleicht spürte der Hund, dass das Blut noch lebendig ist und ihn, anders als der Tote, erkannt hat. Er schleckte gemächlich weiter, da war keiner, der ihn von dort vertrieben hätte ...
    Meine Mutter hielt mit beiden Händen ihren Bauch fest, erzählte Ionică Dimofte, damit sie mich nicht verliert. So weiß ich also, was ich weiß, nur vom Hörensagen oder wenn sich einmal das eine oder andere ergab, denn niemand hat je vom Anfang bis zum Ende alles erzählen wollen. Sie sagten ein paar Worte und verstummten, als wäre das Gleiche jetzt wieder geschehen. Sie wollten sich nicht mehr erinnern, und so begann ich, der ich mich damals noch im Bauch meiner Mutter befand, mich an ihrer Stelle zu erinnern. Vor allem an die Toten, von denen mein Vater, Aurică Dimofte, der erste war. Sie packten sie und warfen sie wie Säcke von der Mühle übereinander. Dann haben sie sie in einen Klassenraum gepfercht und bis zum Einbruch der Dunkelheit dort liegen lassen. Nun verluden sie sie auf einen Laster und fuhren sie weg, keiner wusste, wohin. Damit sie nicht betrauert werden konnten. Sie begruben sie woanders, am Rande von Friedhöfen, ohne Kreuze, ohne Pfarrer und ohne Kerzen. Ein paar gottesfürchtige Leute haben später Kreuze aus quer übereinandergenagelten Latten aufgestellt, eines für mehrere Tote, so, wie sie begraben worden waren – mehrere gleichzeitig. Vaters Grab habe ich erst nach fünfunddreißig Jahren gefunden, nach der Revolution, und zwar in Florești. Ich sprach mit den alten Totengräbern, und ich erkannte ihn an den Kleidern. Er hatte einen schönen und breiten ledernen Leibgurt, in dem er die Akten über seinen Bodenbesitz aufbewahrte. Man hatte ihn mitsamt den Akten begraben. Als wir den Boden zurückgefordert haben, mussten wir uns auf Zeugenaussagen stützen, die Papiere waren vermodert. Auch erkannte ich ihn am Einschussloch auf der Stirn.
    Sie glaubten, ich sei tot, erinnert sich Marin Crăciun. Als sie mich wegtragen wollten, rührte ich mich. Dann trat mir der kleine Mann in der blauen Jacke mit seinem Schnürstiefel in den Bauch und verfluchte mich. Ich aber hab nichts gesagt, nur gestöhnt und ihn im Stillen verflucht. Ich hab ihn ganz schwer verflucht, ganz besonders übel, mitsamt seinem ganzen Geschlecht, und wegen all unserer Toten. Und so ist es dann auch gekommen. Die einen sagen, es wäre wegen der Revolution geschehen, wegen Iliescu, sie mussten ihn erschießen, um ihn zum Schweigen zu bringen, aber das ist nicht wahr. Das kam noch von damals, aus dem Winter damals und von unseren Flüchen, den Verwünschungen durch die Leute aus Vadu Roșca. Sieh den Beweis. Er starb genau so, wie er mit dem Securitate-Bataillon aus Tecuci Dimoftes Aurel umgebracht hat. Gleich zu Gleich. Er ist genau so auf die Knie gesunken, und sie haben so lange auf ihn geschossen, bis er, immer noch in den Knien, nach hinten geworfen wurde, ebenso wie damals Aurică Dimofte. Nur dass Ceaușescu in Verdammnis gestorben ist, die Hände auf dem Rücken gefesselt, er konnte sie nicht wie Aurică an die Brust drücken und versuchen, das Blut zurückzuhalten. Fragen Sie nicht weiter, denn ich höre

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