Buch des Flüsterns
nicht mehr, die haben mir so lange immer wieder auf den Kopf geschlagen, dass ich nur noch ein Pfeifen höre. Das Letzte, woran ich mich erinnere, es in dieser Welt gehört zu haben, ist Ceaușescus Fluch.
Sie haben uns zwei Tage lang verhört. Sie fragten, und dann schlugen sie, erinnert sich Damian Pătrașcu. Brach einer ohnmächtig zusammen, griffen sie sich den Nächsten. Wer hat zu dieser Erhebung angestiftet? Ob da vielleicht jemand von auswärts gekommen war? Ob wir was über die Gruppen in den Bergen wissen. Wer die Köpfe waren, und wem das mit der Barrikade eingefallen war. Und schließlich alles nochmal von vorne. Uns, die wir die Schuld auf uns genommen hatten, und ein paar weitere brachten sie nach Galați. Dort haben sie mir immerzu mit den Schnürstiefeln in den Mund getreten und mir alle Zähne ausgeschlagen. Mitte Januar begann der Prozess vor dem Militärgericht in Constanța. Dann haben sie uns nach Gherla gebracht. Alle haben wir zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Jahre Gefängnis wegen verbrecherischem Terrorismus gegen die Staatsmacht gemäß Artikel 199 Strafgesetzbuch bekommen. Zwei Jahre lang hatte ich kein Recht auf Pakete und Briefe. Unsere Angehörigen weinten um uns, als wären wir tot. Und wenn wir nicht wie tot waren, was waren wir dann?
Im Herbst 1964 ließen sie uns gehen, erinnert sich Gheorghe Porumboiu. Als ich im Dorf ankam, eilte niemand herbei, mir etwas Gutes zu tun. Die Leute blieben hinter ihren Zäunen und schauten auf uns. Nur die Hunde kamen und leckten an unseren Füßen. Wir zitterten vor all der Kälte, dem Hunger und der Prügel. Aber die Hunde erkannten uns, verbellten uns nicht. Schließlich haben auch die Leute sich an uns gewöhnt. Aber erzählt haben wir nichts, auch hat uns niemand etwas gefragt. Jetzt ist es das erste Mal.
Als in diesem Sommer das Wasser gekommen ist, erinnert sich Marin Crăciun, haben die Leute gesagt, der liebe Gott habe wohl das Blut wegwaschen wollen, das seit fünfzig Jahren getrocknet zwischen den Steinen verblieben war, und heuer sind es genau fünfzig Jahre. Aber so kann es nicht gewesen sein, denn Blut weicht man zuerst mit Blut auf, um es danach mit Wasser abzuwaschen. Darum haben die Wasser den Marin Dobre, den Ionel Crăciun und den Neculai Dimofte und noch ein paar andere mitgenommen, die bei der Barrikade dabei waren und im siebenundfünfziger Jahr den Kugeln entgangen waren, jetzt aber, alt und wacklig auf den Beinen, den schnell ansteigenden Wassermassen nicht mehr entkamen. Ich aber meine, Gott kann nicht auf diese Weise sprechen, denn er weiß ja, dass jenes Blut vor allem in unseren Köpfen existiert. Vielleicht heilt alles erst dann, wenn er uns alle zu sich genommen hat, einen nach dem anderen, aber vielleicht auch dann nicht ...
In Vadu Roșca gab es achtzehn Verurteilte, in Suraia fünfzehn, in Răstoarca vierzig und in Cudalbi fünfzig. Sie waren jung, starben nicht in den Gefängnissen. Aber was sie danach erlebten, kann man auch nicht gerade Leben nennen. In Vadu Roșca gab es am Morgen des 4. Dezember 1957 achtundvierzig Verwundete. Darüber hinaus wurden zehn Tote gezählt: acht Männer, eine Frau, nämlich Radus Dana, und eine Glocke.
Alle in namenlosen Gräbern beerdigt wie unsere anderen Toten, derer wir am 24. April, dem Tag der Massaker, gedenken. Aber auch ohne Gedenken, also nochmal einsamer. Ich war ein Kind, ihre Gräber waren verstreut, und niemand wusste, an welcher Stelle man jemanden beweinen konnte, die Verurteilten waren noch im Gefängnis, in Gherla und in Aiud, Dimoftes Ana und ein paar weitere Witwen hatten sich in die Arbeit gestürzt, um ihre halb verwaisten Kinder aufzuziehen, die noch lange als Banditenbrut gelten sollten. Worauf es mir aber ankam, da ich im Schatten des Nussbaumes an der rückwärtigen Mauer unseres Hauses kauerte, war diese gute und süße Totenspeise; je weniger der Toten gedacht werden konnte, umso süßer die Speise, denn den Toten standen die Sinne nach dieser Welt.
Und wenn sie tot sind, ohne dass ihrer gedacht werden kann, sagte Großvater Garabet, und wenn ihre Gräber unbekannt und ohne Kreuze sind, dann werden wir ihrer zusammen mit unseren kreuzlos begrabenen Toten gedenken. Und weil Dimoftes Ana von ihrem Handel mit Käsereien die Zahlen besser kannte als die Buchstaben, sagte sie Großvater ihre Namen der Reihe nach auf, und er schrieb sie auf ein Stückchen Papier: Dana Radu, Aurel Dimofte, Ionuț Cristea, Dumitru Marin, Ion Arcan, Dumitru Crăciun,
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