Buch des Flüsterns
Schluchten lagen, jenseits der Tatsache, dass ihr Anblick die nachkommenden Konvois deprimierte und auf den Tod vorbereitete, auch den Verkehr auf den Straßen und in den Eisenbahnen behinderten, ihr schweres gelbes Miasma verpestete die Luft, auch protestierten die Araber, die das verseuchte Wasser der Flüsse nicht mehr als Trinkwasser benutzen konnten. Um all diese Unzulänglichkeiten zu vermeiden, sollte die Tötung der Kinder aus Deir-ez-Zor der perfekte Mord werden.
Die Waisenkinder, in Meskene und anderen Orten eingesammelt, an denen Flüchtlingslager eingerichtet worden waren, wurden durch die Wüste nach Deir-ez-Zor geleitet. Stellen Sie sich einen Konvoi mit Hunderten von entstellten Kindern vor, zerlumpt und barfuß, wie sie durch die sengende Wüstensonne und den Nachtfrost torkeln und taumeln. Schultern und Rücken voll blutiger Wunden, wuselnde Wundmaden, angetrieben von Reitern, die mit der Peitsche auf sie einschlugen oder mit Stöcken. Die Toten und die Sterbenden wurden auf die Pferdewagen geworfen, die den Konvoi begleiteten. Der Ort, an den sie schließlich gelangten, heißt Abuhahar. Nur noch dreihundert Kinder konnten sich aufrecht halten, alle anderen, die Mehrheit, wurden in den Wagen gefahren. Am Fuße der Berge, welche die Wüste begrenzten, ließen die Soldaten den Konvoi anhalten und die Wagen auf dem nackten Feld entladen. Dann umstellten sie das Lager und warteten auf den Einbruch der Nacht. Und mit dem Abend kamen die Wüstenvögel. Angezogen vom Blutgeruch, dann die einen vom Flug der anderen und zuletzt vom Lärm, dem Krächzen der Rabenvögel und vom schmatzenden Reißen des Fleisches von den Knochen, stürzten sich die Adler und Krähen der Wüste auf die Leiber, die keine Kraft mehr hatten, sich zu widersetzen, selbst wenn sie noch lebten. Die Vögel zielten vor allem auf die Augen, auf Wangen und Lippen, die ihnen umso verlockender erschienen, als die Körper geschwächt waren. Zwei Tage lang hatten sich die Vögel, Schwarm um Schwarm, über jenem entfleischten Gelände am Fuße der Berge niedergelassen, und die Kinder waren den schwarzen stählernen Schnäbeln und Krallen preisgegeben. Diese Geschichte erzählten entsetzte arabische Nomaden. Und der die Soldaten kommandiert hatte, Hauptmann Rahmeddin, wurde befördert und schnell zum Kommandanten der Gendarmerie von Rakka ernannt.
Die anderen Waisen, die krank und hungrig im Waisenhaus von Deir-ez-Zor steckten, wurden an einem eisigen Dezembertag auf Wagen verladen. Die Sterbenden wurden in den Euphrat geworfen; der Strom, strudelnd und reißend zu dieser Jahreszeit, verschlang die ausgetrockneten Körper sogleich. Nach einem zwölfstündigen Weg durch die Wüste ohne die geringste Nahrung oder Wasser fand der Kommandant des Konvois, von dem wir wissen, dass er Abdullah hieß, sich aber gerne Abdullah Pascha nennen ließ, drei verschiedene Weisen, die Kinder zu ermorden. Doch weil er in den Blicken der Soldaten ein gewisses Zögern verspürte, packte er einen zweijährigen Knaben und zeigte ihn seinen Leuten: Selbst dieses kleine Kind, sagte er, muss wie alle anderen dieses Alters ohne Mitleid umgebracht werden. Denn sonst kommt der Tag, an dem es sich erheben und diejenigen suchen wird, die seine Eltern umgebracht haben. Er wird sich rächen wollen. Das ist der Hundesohn, der uns eines Tages suchen wird, um uns umzubringen! Und er wirbelte ihn ein paarmal in der Luft herum, schleuderte ihn wütend auf die Steine und zerschmetterte ihn, noch ehe dieser einmal stöhnen konnte.
Einen Teil der Wagen stellten sie nebeneinander im Kreis auf, packten so viele Kinder darauf, wie sie irgend fassen konnten, zogen einen Wagen voller Sprengstoff in die Mitte und ließen sie durch die Detonation zerfetzen, verwandelten sie schlicht und einfach in Russ. Die nicht mehr gehen konnten, legten sie auf den Boden, streuten trockenes, petroleumgetränktes Gras über sie und zündeten es an. Und die anderen, die die Wagen nicht mehr hatten fassen können, trieben sie in die Höhlen, in deren Eingängen Holz und Gräser lagen. Sie setzten sie in Brand und erstickten die Kinder, ihre Leiber blieben blau und verkohlt auf dem Grund der Höhlen liegen.
Aber selbst das gelungenste Verbrechen kann nicht vollkommen perfekt sein. Ein Mädchen namens Anna hatte sich in der Ausbuchtung einer Höhle verkrochen, wo es dank eines Risses im Gebirgsgestein ein bisschen frische Luft atmen konnte. So hat sie überlebt, und als nach einem Tag und einer Nacht das
Weitere Kostenlose Bücher