Buch des Flüsterns
etwa in Höhe des Puricarului-Brunnens, dann fiel er beim Versuch, das Vordach zu reparieren, vom Dach seines Hauses in der Barați-Straße Nr. 4 auf den Kopf. Erst beim dritten Mal gelang es ihm, als er im Winter des Jahres 1985 erfror, weil die Kommunisten Gas sparten, weshalb sie es tagelang abstellten. Damit die Einsparungen möglichst groß gerieten, stellten sie es gerade dann ab, als der Frost am heftigsten war.
Da nun für einen, der stets und mehrfach wie die Nadel durch das Innenfutter am Tod vorbeigeschlüpft war, nichts absurder aussah, als ausgerechnet deshalb zu sterben, weil der kommunistische Staat Gas einsparte, war Großvater Setrak ruhig dahingegangen, die Gelassenheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er wurde auf dem katholischen Friedhof von Craiova beerdigt, nicht weil er etwa Katholik gewesen wäre, eher damit die Dinge weiterhin unverständlich bleiben.
Großvater Garabet meinte hingegen, alles auf der Welt habe einen Sinn. Im Unterschied zu Großvater Setrak, der seine vorrangig für die Schule vorgesehenen Jahre in Waisenhäusern und Lehrverhältnissen zugebracht hatte, konnte Großvater Garabet das Landwirtschaftslyzeum in Konstantinopel besuchen, was zu jenem Jahrhundertanfang viel bedeutete. Er wusste vieles, war einfallsreich und gelehrsam, hätte zum Verdruss von Großmutter Arșaluis niemals die Wissenschaft zugunsten des Kaufmannsberufs aufgegeben. Infolgedessen war er als Kaufmann ständig pleite, während Großvater Setrak mit Kaffee, Oliven, Kakao und Rosinen immerzu Geld anhäufte. Das heißt, er wäre es gewesen, wenn sein Schwager Sahag Șeitanian ihm seinen Willen gelassen hätte. Aber ewig pleite zu sein, war nicht sein einziger Beruf. Großvater Garabet war Lehrer bei der Kirche, Violinist, konnte nach Noten spielen, war Motorradfahrer, Kalligraf, Fotograf, Maler, Musiklehrer und Lehrer für Armenisch, Porträtist, Sticker und bei Gelegenheit Stehgeiger, somit übte er alle Berufe aus, die keinen Ertrag einbringen. Sei’s drum, nach seinem Dafürhalten war mein Geschlecht in seiner Rechnung mit der Welt quitt: Großvater Setrak häufte an, Großvater Garabet verschleuderte. Der Kommunismus brachte die Dinge wieder ins Lot: Großvater Setrak hatte keine Möglichkeit mehr, etwas anzuhäufen, und Großvater Garabet hatte nichts mehr zu verschwenden.
Da nun für meinen Großvater Garabet die Seite der weltlichen Dinge, die man in Geld bemessen konnte, unbedeutend war, änderte sich sein Leben mit dem Machtantritt der Kommunisten nicht allzu sehr. Eigentlich änderte sich im Leben der Armenier in Focșani hinsichtlich dessen, was sie früher gemacht hatten, nicht eben viel. Wer Uhrmacher war, blieb Uhrmacher. Wer Schuster war, blieb Schuster. Wer Kolonialwarenhändler war, verkaufte weiterhin Kolonialwaren. Der Glöckner blieb Glöckner und der Arzt Arzt. Und selbstverständlich legte auch der Pfarrer in der Kirche seine Soutane nicht ab. Wenngleich die Berufe dieselben geblieben waren, so hatten die sie Ausübenden doch zu leiden. Denn die Uhrwerke, welche die Uhrmacher zu reparieren hatten, waren nunmehr statt schweizerischen Ursprungs russische, an die Stelle der Lackschuhe und der Damenschuhe mit hohem Absatz und Spange traten schwere Treter, die immerzu repariert wurden, bis die Sohle dicker war als das Oberteil. Die Geschäfte für Süßigkeiten waren erhalten geblieben, aber die Delikatessen waren aus den Regalen verschwunden, die Lokums, die Halva aus Sesam, die Leblebis, die Schachteln mit Van-Houten-Kakao, die Säcke mit Kaffeebohnen, die glasierten tropischen Früchte, Mandeln in Schokolade, dafür tauchten in Fett gehüllte Teige auf, harte Neapolitaner und zu trockene Kekse, von denen sich die Creme krümelnd ablöste. Allein die Stückchen Kandiszucker bewahrten, wenn sie ein bisschen Licht auffingen, einen kleinen und widersetzlichen Widerschein des Glanzes von einst. Nachdem er sich mit dem Beistand des Glöckners Arșag die Soutane hochgekrempelt hatte, versteckte Der Dageat Aslanian die alten Bücher und das wertvolle Geschmeide der Kirche in alten Grüften. Erst nach etlichen Jahren holten sie äußerst bedächtig Stück für Stück wieder heraus, zuletzt das wertvollste Stück, den silbernen Vogel, aus dessen Schnabel zu Dreikönig das heilige Salböl ins Taufwasser tropfte, das, alle sieben Jahre erneuert, noch von jenem im Jahre 301 durch Gregor den Erleuchter höchstselbst geheiligten Öl herrührte. Die Glocke war etwas verschwiegener und
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