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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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beispielsweise die beiden Parlamentsmitglieder, der Abgeordnete aus Konstantinopel, Krikor Zohrab, und der aus Erzerum, Vartkes Seringulian, gelangten bis in die syrischen Wüsten nach Urfa, dann nach Aleppo. Von diesen berichtet Rößler, der deutsche Konsul in Aleppo, in einem Brief an den deutschen Botschafter Wangenheim: »Zohrab und Vartkes Effendi befinden sich in Aleppo als Teil eines Konvois mit dem Ziel Diyarbakir. Dies bedeutet für sie den sicheren Tod: Zohrab ist herzkrank, und Vartkes’ Frau hat soeben entbunden.« Über die Verbrechen während der Kindheit meiner Großeltern habe ich vieles erfahren, und zwar nicht aus den Berichten der Überlebenden, sondern vor allem aus den Angebereien der Mörder. Welch ein Unterschied zwischen der Scheu der Sterbenden und dem Hochmut der Täter ... So erfahren wir, dass sie mit Bajonetten aufgeschlitzt wurden, Vartkes’ Hirn von Gewehrschüssen zerspritzt und Zohrabs Kopf mit Steinen zerschmettert wurde. Ihre Leiber wurden anschließend in Stücke gehackt und liegen gelassen. Hätte sich jemand noch die Mühe gemacht, die vielen Toten jener Tage zu beerdigen, so hätte er sie aus den zerstückelten Körperteilen nicht mehr identifizieren können.
    Aber die Welt schreitet voran. Der Ort, an dem Daniel Varujan ermordet wurde, heißt Tuna. Bevor er von den anderen weggebracht wurde, hatte der Dichter gesagt: Kümmert euch um meinen Sohn, der eben geboren wurde. Er möge auf den Namen Varujan getauft werden.
    Wir werden ihn rächen, ihn und die anderen, sagte Armen Garo und schaute Șavarș Misakian an. Eben deshalb sollt ihr ihre Frauen und Kinder schonen. Wir sind keine Todesfurien und auch keine Frauenmörder.
    Sie saßen im ersten Kreis. Armen hat recht, sagte Șavarș Misakian. Folgt dem Beispiel von General Dro.
    Damals war Dro noch nicht General. Im Februar 1905, als in Baku die Massaker begannen und drei Tage lang anhielten, war er erst einundzwanzig Jahre alt. Ein paar Tausend Armenier sind damals von tatarischen Banden umgebracht worden. Und Prinz Nakaschidze, der Gouverneur des Zaren, obwohl vorgewarnt und die verzweifelten Hilferufe der armenischen Bevölkerung sehr wohl vernehmend, hat nichts zu deren Schutz unternommen, sondern den Angreifern Waffen geliefert. Daraufhin hat das Zentralkomitee der Revolutionären Armenischen Föderation dem Generalgouverneur Nakaschidze mitgeteilt, dass es ihn zum Tode verurteilt habe. Der junge Drastamat Kanayan, dem wir schon unter dem Namen General Dro begegnet sind, wurde beauftragt, das Urteil zu vollstrecken.
    Am festgesetzten Tag wartete Dro in einer engen Gasse, wo die Garde berittener Kosaken die Prinzenkutsche nicht abschirmen konnte, auf den Prinzen und sein Gefolge. Die Bombe steckte in einem Säckchen und war mit Weintrauben bedeckt. Als er jedoch sah, dass der Prinz von seiner Frau begleitet wurde, zögerte er und verzichtete schließlich auf die Tat, begnügte sich lediglich damit, sie beim Vorbeifahren zu betrachten. Er wartete bis zum Abend. Bei der Rückfahrt befand sich nur der Prinz in der Kutsche. Als der Konvoi auf seiner Höhe angelangt war, warf Dro den Sack in die Kalesche und rannte davon. Die Explosion war gewaltig. Mit Nakaschidze wurden auch mehrere Reiter der Gouverneursgarde zerfetzt. Dro nutzte die Panik aus und verschwand, und noch in der gleichen Nacht brachten ihn ein paar Kameraden über die türkische Grenze. Wo er neun Jahre lang blieb, bis zum Ausbruch des Krieges.
    Aber damals konnte sich Dro noch überhaupt nicht vorstellen, was geschehen würde, sagte Arșavir Șiraghian.
    Das konnte sich niemand vorstellen. Die Führer der Armenier unterstützten die Jungtürken, damit sie an die Macht kämen, sie meinten, diese würden die Übergriffe des blutrünstigen Sultans Abdul Hamid beenden. Vartkes Effendi, der künftige Abgeordnete aus Erzerum, hatte während der Konterrevolution Halil Bey in seiner Wohnung versteckt, den Gleichen, der einige Zeit später seine Tötung anordnen sollte. Und, traurige Ironie des Schicksals, wenn Dro der Meinung war, eine Frau müsse nicht für die Sünden ihres Mannes bezahlen, so sollte Stalin dreißig Jahre später in Omsk die Ermordung von Dros Frau anordnen, zusammen mit einem seiner Söhne musste sie für die Taten ihres Mannes bezahlen.
    In Trapezunt, so Misak Torlakian, wurden ein paar hundert Frauen zusammen mit ihren Kindern und den Alten, die nicht mehr gehen konnten, auf Flachkähne verladen und aufs Meer hinausgefahren. In all ihrem Elend

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