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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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habe. Woher wissen Sie das? In der Luft werden die Spuren nicht verwischt. Da gibt es kein Gras, das sie überdeckte. Ich fügte mich. Dies zu den Schmetterlingen. Jenes zu den Blättern. Und das andere zu den Vögeln. Einmal zögerte er, schnupperte noch einmal lange daran und wies in einer Ecke auf einen kleinen Stapel mit Flaschen. Diese stellst du zu den Engeln.
    Bei Mercan fühlte ich mich in meinem Element. Hier gab es keinen Tresen. Oder wenn es einen gab, so schwebte er über unseren Köpfen.
    Dafür war der Verkaufsstand des Halva-Verkäufers überall. Auf Schritt und Tritt gibt es je eine Zollstation, durch die man hindurchmuss. Er kam aus einer westlich der Stadt gelegenen Gegend. Frühmorgens von jenseits der Schranke auf dem Weg zum Dorf Câmpineanca über den Bahndamm. Eben nicht, schworen andere. Morgens kommt er von der Schranke Richtung Brăila, die im Osten ist. Tagsüber traf ich ihn immer woanders an. Sein Verkaufsort war eine rechteckige Kiste, worauf die Halva lag. Die Kiste war über zwei Rädern montiert und hatte an den Seiten zwei lange Arme. Der Halva-Verkäufer hatte beide Griffe gefasst und schob sein Wägelchen. Er ging langsam, wiegend, am Straßenrand und schaute den Autos nach, die ihn überholten. Häufig hielt er an Kreuzungen, wo die Passanten sich entscheiden mussten und innehielten. Er streifte sich zwei weiße Ärmelschoner über die Hemdsärmel, die nahe des Ellbogens durch einen Gummizug festgehalten waren. Dann nahm er das Tablett mit dem Halva-Stück heraus und zerschnitt es mit einem langen Messer. Das Stück kostete einen Leu. Als der Leu an Wert zu verlieren begann, erhöhte der Halva-Verkäufer den Preis nicht, aber er schnitt die Stücke etwas kleiner, sodass er immer noch pro Stück die gleiche Münze einnahm.
    Wir rannten hin und wollten uns Halva kaufen. Aber wo war das Verkaufswägelchen? Wir gaben auf. Als wir dann jedoch beim Spielen waren und darauf vergessen hatten, erschien er an der Kreuzung. Man musste jederzeit die Münze parat halten. Das Verkaufswägelchen mit der Halva war eine andere Zollstation als die übrigen. Man suchte sie und fand sie nicht. Sie tauchte unerwartet auf. Es war der Zoll, auf den man immerzu gefasst sein musste.
    Bobârcă hatte den Tintenstift hinterm Ohr. Er benetzte ihn zwischen den Lippen und rechnete in seinem Heft. Man zählte ihm das Geld hin, und er händigte einem den Rest aus. Angheluță rechnete nicht mit dem Bleistift. Er befeuchtete seinen Finger im Mund und rechnete auf dem weißen Zuckerstaub, der den Tresen bedeckte. Man musste ihm aufs Wort glauben, konnte nichts überprüfen, denn wie Laugen, die durch die Wände dringen, schloss sich der weiße Staubzucker bald wieder und war nun bereit für eine neue Rechnung.
    Der Halva-Verkäufer brauchte nicht zu rechnen. Für ihn waren die Dinge einfach. Jeder Kunde musste seine eigene Rechnung machen und wissen, worauf er sich vorbereitet hatte und wie viele gleichmäßig zugeschnittene Stücke ihm zustanden.
    Wir hatten uns auf die Straßenecken verteilt, um ihn im Blick zu behalten. Gegen Abend packte er an der für diesen Tag bestimmten Straßenecke die Stücke ein, die ihm angesichts dieser noch nicht darauf vorbereiteten Welt übrig geblieben waren, nahm die Ärmelschoner ab, wischte das Messer an seinen Rockschößen ab und machte sich gemächlich auf den Weg. Man konnte ihm leicht folgen, denn er beschleunigte seine Schritte nicht und schaute sich nicht um. Er ging am Kino vorbei und dann die Gerberstraße hinab. Er geht nach Westen, meinten wir. Plötzlich aber sahen wir, dass er anhielt und sich uns zuwandte. Wir bückten uns und warteten, dass er sich tadelnd vor uns aufpflanze. Er aber kam näher, indem er sich anscheinend entfernte. Kam auf uns zu und wurde dabei immer kleiner, bis er ganz verschwunden war. Wenn wir ihn so beobachteten, wussten wir nie, ob er nun näher kam oder sich entfernte.
    Die Stadt wurde durch ein dünnmaschiges Netz zusammengehalten, damit sie sich nicht verstreute – durch die Kaufmannschaft. Auf den Karawanenstraßen hierhergelangt, fuhren sie selbst in den ganz und gar nicht wohlhabenden Zeiten des Kommunismus damit fort, ihre Netze zu knüpfen. Herr Romașcanu, der Sodawasser machte. Der alte Ardeleanu, der Backwaren mit Käse im »Fröhlichen Invaliden« verkaufte. Tante Azoiții im Gemüsegeschäft. Dann die Armenier. Dicran Bedrosian, der Füllfederverkäufer. Vrej Papazian, der Uhrmacher. Und Arusica, seine Frau, immerzu mit einer

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