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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Oliven waren getrocknet, und Großmutter goss Öl darüber, ließ sie eine Weile so stehen, damit sich die Hülle über dem Kern vollsog und man etwas daran zu essen hatte. Der gesalzene Fisch war schauderlich, und die Tüten aus bräunlichem Papier verstreuten an den Ecken feine gräuliche Mehlspuren. Drinnen aber wurde alles viel schöner! Das Mehl schien Silberpulver zu sein, und die Salzkrümel glitzerten wie Bergkristall. Die offenen Schlünde der Hanfsäcke schauten wie die Augen großer Meerestiere, die Pakete waren elfenbeinern, und die Speckseiten und Salamis, die an Haken hingen, drehten sich wie Vögel mit ausgebreiteten Schwingen. Und dies noch, und das, sagte Großvater. Bobârcă schwebte über den Dingen und wedelte mit den Armen. Zu viel für eine Person, aber er besaß für alles je ein bestimmtes Instrument zum Schneiden, Häckseln und Binden. Und etwas für den Buben, fügte Großvater hinzu. Wir traten hinaus, und es wurde Tag. Ich musste mich an die Helligkeit draußen gewöhnen und hielt mir die Hand wie ein Vordach an die Stirn.
    Ich gelangte nie auf die andere Seite von Bobârcăs Tresen. Und kann mich auch nicht erinnern, dass er jemals auf diese Seite gekommen wäre. Bobârcă schaute lange zum Fenster hinaus. Er saß auf einem Hocker, hatte den Ellbogen auf den Tresen gestützt und schaute auf die Straße. Er schien sich nicht zu freuen, wenn er uns eintraten sah. Wenn wir ihm etwas von der Welt draußen erzählten, raubten wir ein Stück von seinen Vorstellungen über jene Welt. Ich weiß nicht einmal mehr, wann er verschwand. Er zerrann zwischen seinen Säcken. Als zusätzlicher Feuchtkörper in der schattigen Luft von den gierigen Mehlstäuben, den Reiskörnern und dem Maisgrieß absorbiert.
    Im anderen Geschäft war das Licht gebrochen, es verteilte sich in den Stücken Kandiszucker oder es füllte, dick wie Honig, ganze Glasbehälter. Ich steckte meine Hände hinein und rieb mir damit über das Gesicht. Die nur halb gesehenen Dinge in Bobârcăs Welt erschreckten mich manchmal. Die eingesalzenen Fische mit den offenen Bäuchen, die Rohre, Trichter, das Messer mit der breiten Klinge, Knochen, die wie Pferdeschädel mit offener Schnauze aussahen. Aber im Süßwarengeschäft von Angheluță war es immer schön. Durch das Fenster kam nicht so arg viel Licht herein, aber drinnen wurde es heller. Das Licht umhüllte die Dinge auf eine Weise, dass man nicht zu sagen wusste, ob sie beschienen oder selber Lichtquellen waren.
    Angheluță war alt und bucklig. Seine Wangen waren trocken-fahl und seine Hände ebenso. Sein Körper war das einzige unter den Dingen, das keinen Anteil hatte am Licht ringsum. Er war zu deren Hüter bestimmt und konnte für sich nichts davon zurückbehalten. Aber er begehrte es mit trüben Augen. Er sprach langsam und bewegte sich im Rhythmus seiner Worte. Auf den Steinfliesen waren Bobârcăs Schritte so laut zu hören, als hätte er Militärstiefel getragen. Dafür war Angheluțăs Gang nicht zu hören. Ich glaube, er ging barfuß. Eine Einzelheit verband Angheluță und Bobârcă. Beide schauten sie lange durchs Fenster auf die Straße. Sie sehnten sich. Bobârcă sehnte sich nach dem Licht auf der Straße, das heller war als in seinem Laden, wo es vor allem dem Glitzern des Salzes auf dem getrockneten Fleisch entsprang. Angheluță sehnte sich nach dem Licht auf der Straße, das nicht so hell war wie in seinem Laden, dafür aber wärmer.
    Bei Angheluță gab es nun mal die Süßwaren. Der Kandiszucker glich den Glaskristallen am großen Kronleuchter der armenischen Kirche. Die
Rahat
-Stücke verbargen ihre Farben, Grün, Gelb, Rosa, unter dem weißen Staubzucker, der kühl wie Schneeflocken auf der Zunge zerging. Die Packungen mit Neapolitaner-Keksen raschelten in den Händen wie trockene Blätter. In hohen Glasgefäßen klebten die Dragees, Kakao- und Karamelbonbons aneinander. Im Mund schob ich sie fast ohne zu atmen von einer Seite auf die andere, dabei schluckte ich nicht, damit der Geschmack möglichst lange anhielt. Die knusprigen Geleebonbons mit ihrem Aroma nach ineinander vermengten Jahreszeiten.
    Dafür schien an Mercans Handel nicht die Spur eines Geheimnisses zu haften. Er betrieb sein Geschäft nicht in einem Laden und schaute nicht sehnsüchtig durchs Fenster. Mercans Lager war unter freiem Himmel. In seinem Hof erhoben sich aufgeschichtet die Flaschen und Einmachgläser, bildeten eine Art Gatter, das einen Durchgang offen ließ, etwa wie das Tor einer

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