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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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verstummten sie jedoch plötzlich, wenn der Leichenzug an einer Kirche anhielt und der Pfarrer seinen Weihrauchkessel in alle vier Windrichtungen schwenkte.
    Mantu war gedrungen und hager. Langsam trug er seine Tuba, klebte daran wie die Schnecke an ihrem Haus. Mitunter drehte er sich im Gehen um und dirigierte mit den Wimpern die Trompeten, Klarinetten, Posaunen und das Saxofon. Seinen Bruder, den kleinen Mantu, Budișteanu, Frunză, die Brüder Câlțea und Fofoc. Sommers trugen sie schwarze Hosen und weiße Hemden; im Winter hatten sie Pelzmäntel an und die Mützen über die Ohren gezogen, dann schwebten bläuliche Wölkchen hinter ihnen her, die von ihren geblähten Backen und an die Mundstücke gepressten Lippen verdichtete Luft.
    Die Beerdigungen fanden gegen Mittag statt. Am weitesten war Mantus Tuba zu hören. Anfangs wie ein Druck in den Ohren, als wäre die Luft plötzlich schwer geworden und drückte auf die Trommelfelle. Dann wie ein fernes Donnern, das irgendwo jenseits der Ufer des Milcov erlosch. Die Leute schauten durch die Fenster, deren Scheiben klirrten. Bei heiterem Wetter wussten sie, dass es sich um Mantus Tuba handelte. War der Himmel bewölkt, warteten sie auf das nächste Zeichen, nämlich das Klagen der Posaune und den Schrei der Trompeten.
    Zog der Leichenzug an unserem Haus vorbei, drückte die von Mantus Tuba ausgestoßene Luft uns auf die Schläfen, auf alle zarten und transparenten Dinge. Im Winter verwirbelte sie den Rauch der Schornsteine. Zu Weihnachten kamen die Weihnachtssänger mit der großen Pauke. Zum Rhythmus der Pauke tanzten die Weihnachtssänger mit Bären- oder Ziegenköpfen auf der Straße. Ich weiß nicht, wie der Kopf der riesigen Gestalt aussah, die im Rhythmus von Mantus Tuba über der Stadt tanzte. Wiewohl unsichtbar, gab es sie, denn wenn sie vorbeizog, mühte sich der Rauch vergeblich, aufzusteigen. Er verbreitete sich in den Höfen und über den Häusern und suchte tastend nach einer Lücke, durch die er entkommen und emporsteigen konnte. Der Tod fesselte den Rauch an den Boden. Entfernte sich Mantus Tuba, zogen auch die Spuren des Todes ab, entfernte sich auch der Rauch tanzend über der Stadt und begann, sich zum Himmel zu erheben. Der Himmel gewann die Klarheit wieder, die immer auf den Tod folgt.
    Nachmittags konnte ich ihn bei uns am Tor sehen, er wischte sich mit dem Handtuch, das er bei der Beerdigung bekommen hatte, über die Stirn und steckte es danach wieder in die Tasche, wobei er den verknoteten Zipfel heraushängen ließ. Die Tuba hatte er an die Wand gelehnt, auch sie ist müde geworden, die Arme, sagte er, und setzte sich; vom vielen Blasen war er etwas geschrumpft und bläulich angelaufen. Er zündete sich eine Zigarette an, zog den Rauch tief in die Lungen, um sich wieder mit ihm anzufreunden, wo er ihn doch vorher noch in Ketten gelegt hatte. Langsam trank er sein Glas Wein, fuhr sich mit der blauen Zunge über die Lippen und schaute mit bebender Neugierde Großvater an.
    Die Posaune, sagte Großvater Garabet.
    Und ein andermal:
    Die Trompeten ...
    Was ist mit den Trompeten?, fragte Mantu mit krächzend verlöschender Stimme, als zöge schlaftrunkene Luft durch den Trichter seiner Tuba.
    Beim Marsch von Chopin war ihr Einsatz verfrüht. Sie hätten den Flügelhörnern noch ein Viertel länger Zeit geben sollen.
    Nein, das war genau so, wie es sein muss. Ich hab ihnen das Zeichen gegeben.
    Großvater schenkte ihm noch ein Glas ein, dann ging er ins Haus zurück. Mantu wusste, dass nun der schwierigste Augenblick folgte. Und er schrumpfte auf seinem Stuhl noch mehr ein, wie eine Katze. Er wusste, was nun geschehen würde, und wenn er gekonnt hätte, wäre er davongerannt. Aber es ging nicht. Er trennte sich niemals von seiner Tuba, und mit ihr auf dem Rücken hätte er nicht davonrennen können. Mit vierzehn Jahren hatte er Tuba zu spielen begonnen, als der alte Mantu meinte, nun, da seine Brust schon zwei Hände breit war, seien die Lungen zum Blasen geeignet. Wenn er nicht spielte, hielt er die Tuba nahebei und polierte sie mit dem Ärmel, bis sie spiegelte. Immer gingen sie zusammen, der Mann und die Tuba, langsamen Schrittes und mit vornübergebeugten Schultern. Von dem Tag an, da der Alte, ihn mit der Hand abmessend, beschlossen hatte, dass er nun in der Lage war, das Instrument zu spielen, war Mantu nicht mehr gerannt.
    Jetzt aber hatte er Lust davonzurennen, aber es war schon zu viel Zeit verstrichen, und er wusste nicht mehr, wie er dies

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