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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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anstellen sollte, ohne dass sich seine Beine verhedderten. Denn das Unvermeidliche geschah: Großvater kehrte mit der Partitur zurück und schlug sie auf dem Tisch auf. Dann wies er mit dem Finger auf die Stelle.
    Hier, befand er.
    Mantu beugte sich über die Blätter und schaute sich die Stelle an, die ihm der Finger anzeigte. Er konnte nur ein paar schwarze Zeichen sehen, kraus und übereinandergestapelt sahen sie aus.
    Es wird schon seine Richtigkeit haben, wenn du das sagst ...
    Ein andermal hatte mit der Posaune etwas nicht gestimmt. Oder den Flügelhörnern. Großvater breitete die Notenblätter nacheinander aus, wie Strudelteig. Und fuhr mit dem Finger darüber. Die
Symphonie fantastique
von Hector Berlioz. Faurés
Requiem
. Der
Messias
von Händel. Mantus Lider verengten sich über den käferüberwuselten Blättern.
    Welches ist die Tuba?, fragte er.
    Die ganz unten, antwortete Großvater und wies auf die Reihe mit den wenigsten Käfern, die einem vor den Augen herumtanzten. Schau, da, ab und zu ein Kreis ohne Schwänzchen oder, mal darüber und mal darunter, mit einer Pfeilspitze.
    Sieh an, verwunderte er sich, das bin ich?
    Und seine glänzende Tuba betrachtend: Das sieht so leicht aus! Dabei muss man seine Seele zusammenknäueln und durch den Trichter quetschen, damit es klingt ...
    Aber Großvater blieb verärgert über die Trompeten. Mantu rief sie alle zusammen, die Brüder Câlțea, Trompeter, dann den kleinen Mantu, Budișteanu, Frunză und Fofoc. Sie setzten sich im Hof auf die Schemel und leckten alle mit blau angelaufenen Lippen an ihrer Konfitüre. Großvater drehte die Ebonitplatte um, fuhr leicht mit seinem Jackenärmel darüber und legte sie auf das Gerät. Er hob den Arm des Plattenspielers an, gebot mit erhobenem Finger Aufmerksamkeit und setzte die Nadel auf. Die Zigeuner reckten die Hälse. Louis Armstrongs Trompete fegte über den Dixielandrhythmus und zerteilte die Luft. Großvater nickte und klatschte im Rhythmus der Musik in die Hände. Sie hörten fasziniert zu. Am Ende zogen sie die Köpfe wieder verlegen ein.
    Habt ihr die hohen Töne gehört?, fragte Großvater Garabet.
    Selbstverständlich hatten sie sie gehört. Großvater fuhr jedoch mitleidlos fort:
    So hoch der Ton auch sein mag, er ist voll und offen. Warum geht das bei ihm und bei euch nicht?
    Weil er gut genährt ist ..., wagte sich der ältere der Câlțeas vor.
    Bist du denn nicht gut genährt? Sieh doch, was für einen Bauch du hast ...
    Das kommt vom Ärger ..., klagte der Zigeuner. Und von den unzerkaut verschlungenen Knödeln. Darum wächst ihm der Bauch so ... vom Brot und vom Ärger. Hier aber kommt’s auf die Puste an, wenn ich das richtig sehe, nicht auf den Bauch.
    Ich aber glaube, hier braucht es Verstand, widersprach Großvater.
    Umso schlimmer, erwiderte der Zigeuner. Brot verblödet.
    Iss Mămăligă 5 , gab Budișteanu zurück.
    Aber Mămăligă sättigt nicht ..., warf Câlțea entmutigt ein, da er sah, dass ihm keiner mehr beisprang.
    Ein andermal sehe ich sie auf dem kleinen Platz in der Straße des Vaterlands, im Zigeunerviertel. Sie sitzen mit rundem oder flachem Bauch im Kreis herum und haben Handtücher um ihre verschwitzten Nacken gelegt. Allein Mantu steht aufrecht, hat die Tuba an sich gelehnt und zieht an der Zigarette. Großvater sitzt vor ihnen am Tisch und erklärt. Und auf dem Tisch verstreut und damit den fettig-salzigen Schweißfluss der Bläser befördernd, liegen die Partituren.
    Die Neunte Symphonie von Beethoven, kündigt Großvater an. Der dritte Teil, das Andante.
    Stammt das auch von diesen Schwarzen?, fragt Câlțea verängstigt.
    Schweig, Dummkopf, zischelt von hinten Budișteanu, der ein bisschen Musikunterricht in der Volkshochschule hatte und der Einzige unter ihnen war, der die Noten lesen konnte, die er stockend, als buchstabierte er eine Zeitung, zu benennen wusste.
    Wenn es nichts von diesen Schwarzen ist, gab Câlțea zu bedenken, dann könnte es ja gehen ...
    Die Tuba wird den Kontrabass und die große Pauke gleichzeitig spielen. Die Posaune übernimmt die Violoncelli und die Hörner. Die Flügelhörner – alle weiteren Bläser. Und die Trompeten werden die Melodie der Geigen spielen.
    Wieso das?, riefen die Brüder Câlțea gekränkt. Die Geigen sind was für Spielmannskapellen. Wir sind keine Spielmänner ...
    Und was sind wir sonst?, fragte Fofoc.
    Spielmannskapellen passen zu Hochzeiten, erklärte Budișteanu. Wir spielen zu Beerdigungen. Uns nennt man Musikanten.
    Nun

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