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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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halt einmal das Maul, du Musikant!, herrschte ihn Mantu an und steckte sich eine weitere Zigarette an.
    Und an Großvater gewandt: Sag du’s ihm, Chef!
    Mantu sprach wenig. Da er immerzu mit aufgeblasenen Backen in seine Tuba blies, hatten seine Lippen Mühe, Worte zu formen, es wirkte stets so, als müssten sie sich richtiggehend losreißen. Auch reichte sein Atem nicht, um einen längeren Satz von Anfang bis zum Ende auf einmal auszusprechen. Husten schnitt ihm den Atem ab, und er lief blau an, nein, seine Miene verfinsterte sich geradezu ins Schwarze.
    Wenn du nicht aufhörst mit dem Rauchen, ermahnte ihn Großvater, wirst du eines Tages mit der Zigarette verlöschen, die du eben weggeworfen hast. Wenn nicht vorher alle Kräfte aus dir schwinden und du mit der Zigarette zwischen den Lippen stirbst.
    Mantu zuckte mit den Schultern. Er atmete rasselnd, als blase er in ein Mundstück. Er war es nicht gewohnt, umsonst zu atmen.
    Mir reicht es, sagte er. Ich hab schon für drei Leben geblasen.
    Mantu sprach völlig gleichgültig über den Tod. Seit dreißig Jahren hatte er ihn schon in jeder Gestalt gesehen, in jedem Alter und in allerlei Klagen und Gebräuche eingekleidet. Während des Krieges, erinnerte er sich, war es scheinbar etwas ruhiger. Der Tod schlug woanders zu, weiter weg. Ansonsten fürchtete er sich nicht. Für ihn war der Tod dort, wo das Leben und das kräftige, aus dem tiefsten Inneren vonstattengehende Atmen und Pusten ein und dasselbe, ja geradezu eine Pflicht waren, eher anheimelnd.
    Ich puste genug, beschloss er, lass mich ab und zu auch mal ziehen.
    Also dann!
    Großvater schlug mit der Linken den Takt und blätterte die Seiten um, wozu er leise summte. Dann folgten der Reihe nach die Trompeten, die Flügelhörner und die Posaune der Melodie und lernten sie auswendig. Ab und zu sprach Großvater seltsame Wörter aus: Moll, D-Dur, Tremolo ... Die Bläser konnten mit dem Verstand nicht begreifen, was sie nicht mit den Ohren verstanden hatten. Und deshalb wies Großvater mit dem Daumen nach oben, wenn er Dur sagte, und bei Moll nach unten, als wollte er jemandem anzeigen, er möge sein Glas wieder füllen, und das Tremolo war ein leichtes Flattern mit den Fingern. Und wenn seine Stimme nicht mehr ausreichte, holte er die Geige hervor und fuhr dort fort, wohin sein Gesang nicht aufsteigen konnte. Dann ließ er sie wie einen siebenstimmigen Chor spielen. Eigentlich sechs, denn Mantu blies hin und wieder seine Backen auf, wenn Großvater ihn mit zur Faust geschlossener Hand dazu aufforderte, und puffte: Bum-bum, dabei stampfte er zur Unterstützung mit der Schuhsole auf den Boden. Ihr Chor war jedoch eher ein Brummen. Zuerst muss man es mit der Stimme beherrschen, dann kommen die Finger ..., sagte Großvater. Spielt innen, damit man es draußen hört. Dann: Lauter, Trompeten! Und die Brüder Câlțea greinten. Tii-tiii-taaaa. Ba-da-bam, stampfte Budișteanu, der die Posaune blies. Und darunter, bum, bum, Mantus Tuba.
    Sag, was du vorhast, verlangte Großvater.
    Bei Eurem Tod, Chef ..., stammelte Mantu.
    Unweigerlich sog der Zigeuner, anders als er es tagsüber gewohnt war, die Luft durch die Nase ein; er weinte.
    Lass den Blödsinn, schnitt ihm Großvater das Wort ab. Sei ein Mann, schämst du dich nicht vor dieser Tuba, die du auf dem Rücken trägst? Sag!
    Hat mich betrogen, Chef!
    So ist’s recht, gab Großvater zurück.
    Und ließ ihn immerzu »be-tro-gen« wiederholen, bis klar war, dass dies die einzige Möglichkeit war, wie er sich den Namen merken konnte.
    Beethoven also! Und weiter?
    Andante ... Also langsam ...
    Gemächlich, Bläser. Mal leise und mal laut. Aber gemächlich ...
    Ja, Chef!
    Und fehlerfrei ...
    Beim Leben meiner Mutter ...
    Sonst stehe ich von den Toten auf.
    Steh auf, Chef!
    Der Knabe da ist mein Zeuge, sagte Großvater. Und er gab mir ein Zeichen herzukommen.
    Ich ließ mein Spiel mit den Kastanien sein und ging hin.
    Sieh mir in die Augen und wiederhole, damit auch er es hört.
    Be-tro-gen ... die Neunte ... gemächlich ... fehlerfrei ...
    Das war zu viel für Mantu. Von dem vielen Reden erstickte er beinahe. Und damit man seinen Husten nicht hörte, drückte er sich die Tuba an die Lippen. Der Husten verwandelte sich in ein abgehacktes Tubaspielen. Großvater ließ sich täuschen, nahm mich an der Hand und ging davon, gefolgt von den Tönen der Tuba, die vergeblich versuchten, die Löcher in Mantus schwacher Lunge zu überdecken.
    Die Straße des Vaterlands war die

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