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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Khântirian bestimmt, einer der Begründer sowie erster Präsident der Vereinigung der Armenier Rumäniens.
    Im Dezember 1920 besetzten die bolschewistischen Armeen von Anastas Mikoian und Alexandr Miasnikian ein von Hunger und Typhus geplagtes Armenien mit verängstigten Menschen, die sich aneinanderdrängten wie die Bewohner eines Hauses mit nur zwei Türen, einer nach Osten und einer nach Westen gehenden, die gleichzeitig unter feindlichem Geschützfeuer standen: Im Westen standen die türkischen und im Osten die bolschewistischen Truppen. Als erste öffnete sich die östliche Tür, vielmehr wurde sie aus den Angeln gerissen. Armenien wurde von einer zusammengewürfelten, jedoch von Armeniern angeführten Armee besetzt, einem Durcheinander aus Russen, Georgiern, Aserbaidschanern und Tataren. Eine Revolte der Einwohner Jerewans, angeführt von einigen Angehörigen der vorangegangenen unabhängigen Regierung, wurde im Februar 1921 blutig niedergeschlagen.
    Zu jener Zeit durchlebte Harutiun Khântirian widersprüchliche Zustände. Verstört las er in den stets neuen Depeschen über das Schicksal der aufeinanderfolgenden Regierungen, die sich neu zusammenfügten und untereinander verfeindet waren. Ungetrübt schloss er die Büros des Konsulats auf, das ihm die Vereinigung der Armenier Rumäniens zur Verfügung gestellt hatte, und setzte sich aufrecht, das Kinn vorgereckt, unter die rot, blau und orange gestreifte Fahne Armeniens.
    Im Jahre 1922 wurde Armenien Teil der Transkaukasischen Sowjetrepublik. Die letzten Flüchtlinge, Regierungsmitglieder, verschiedene andere Würdenträger, Generäle und Partisanen, kamen nach Rumänien oder zogen weiter gen Westen. Khântirian empfing sie und erfuhr Neuigkeiten, aber er konnte ihnen dafür keine Gegenleistung anbieten, nicht einmal einen Stempel auf ihren Reisepapieren. Denn nach 1921 erkannten die rumänischen Behörden die Existenz des Konsulats leider nicht mehr an. So pedantisch Herr Khântirian auch immer gewesen sein mochte in seiner karierten Weste und mit der Fliege am umgeschlagenen Hemdkragen, mit seinen buschigen Brauen, die ihm über den schwarzen Brillenrahmen hingen, so löblich seine Bereitschaft zur Pflichterfüllung auch gewesen und so viele diplomatische Eigenschaften und Eignungen er gehabt haben mochte, es ermangelte ihm einer grundlegenden Voraussetzung zur Diplomatie, nämlich jener, ein Land zu haben, das er hätte vertreten können. Und was die Beziehungen von Harutiun Khântirian zum sowjetischen Armenien betraf, waren die Dinge äußerst klar: Weder hatte Khântirian auch nur den geringsten Wunsch, den Bolschewismus in Rumänien zu repräsentieren, erst recht nicht einen in die Sowjetunion integrierten, noch kam es der vage unabhängigen Regierung Armeniens je in den Sinn, sich von dem kleinwüchsigen, quirligen und allzu umtriebigen Harutiun Khântirian vertreten zu lassen. Um nicht davon zu sprechen, dass die Situation auch jenseits dieser gegenseitigen Missachtung aussichtslos war. Das bolschewistische Armenien konnte in Rumänien nicht vertreten werden, denn weder die Regierung Averescu noch die von Brătianu hatten die Sowjetunion anerkannt.
    Trotz all dieser Gegebenheiten behielt Khântirian seinen Stempel, aus dem einfachen Grund, dass niemand ihn ihm abverlangt hatte und es ohnehin niemanden gegeben hätte, dem er ihn hätte überreichen können. Ebenso behielt er die Briefumschläge und das Briefpapier mit dem Briefkopf des Konsulats, das mit der Zeit vergilbte. Die Fahne, die anfangs unter dem Mittelfenster hing, wanderte nun an die Wand hinter seinem Schreibtisch neben das Porträt des letzten Premierministers, Simon Vrațian, an dessen Stelle er anschließend das Porträt von Vartan Mamigonian hängte, der vor beinahe tausendfünfhundert Jahren die armenische Streitmacht angeführt hatte und somit an jede armenische Wand passte. Während Aram Vdaranți, sein getreuer Sekretär, nachdem er im Büro aufgeräumt und die Vorhänge vorgezogen hatte, sich ungestört in die Übersetzung der Rubai’yat des Omar Khayyam aus dem Persischen ins Armenische vertiefte, eine Beschäftigung, die gewissermaßen den Eifer erklärt, mit dem Aram seiner Tätigkeit als Angestellter eines Konsulats nachging, das eher Melancholien denn Realitäten vertrat. Etwas praktischer veranlagt, wie die Bewohner von Hafenstädten es überall auf der Welt sind, schlossen die Armenier in Constanța ihr von Givan Altuian geführtes Vizekonsulat, ebenso verfuhren die

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