Buch des Flüsterns
zwischen zwei Übeln zu wählen hat, und dass wichtiger als die Wahl die Befähigung dazu ist. So war es ganz oft in der Geschichte der Armenier; umzingelt von allerlei Feinden, die nach ihrem Grund und Boden trachteten, von den Assyrern, Babyloniern, Medern, Persern, Parthern und Römern bis zu den Arabern, Tataren, Türken, Kurden und Russen, hatten die Armenier nicht zwischen Freund und Feind zu wählen, sondern zwischen Feinden, mit denen man sich verbünden konnte, und Feinden, gegen die man kämpfen musste.
Schließlich zeigte sich, dass es kein besseres Böses gibt und die Wahl zwischen zwei Übeln einem keine Chance lässt. So war es auch General Dro am Ende jenes Jahrzehnts ergangen, in dem der Krieg ausbrach. Er wählte die Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland gegen das bolschewistische Russland, weil er meinte, damit zwei Dinge zu erreichen: die Armenier im von den Deutschen besetzten Europa beschützen und das von den Bolschewisten besetzte Armenien befreien zu können. Aber weder das eine noch das andere ist ihm gelungen.
So begann also die Rekrutierung für die Armenische Legion. Nicht etwa durch die Anwerbung der Armenier in den von den Deutschen besetzten Gebieten Europas, denn die waren größtenteils staatenlos und infolgedessen nicht zu den Waffen einberufen worden. Aufgrund dieser Situation, für die gerade die Armenier am wenigsten verantwortlich waren, kam es in Rumänien beinahe zu einer unangenehmen Entwicklung. Kaum ein halbes Jahr nach dem Überfall auf die Sowjetunion, als die Phantasmen des Generals Dro über ganz Europa schwappten und die deutschen Armeen mit ihren Verbündeten noch nicht im verbissenen Widerstand bei Stalingrad und in der Falle am Don-Knie stecken geblieben waren, sie also noch glaubten, es sei ihnen alles erlaubt, schauten Marschall Antonescus Berater ungehalten auf die Nansen-Leute, die heimatlosen Armenier, die man nur deshalb nicht einberufen hatte, weil sie in den rumänischen Akten nicht vorkamen. Im Gefühl, von diesen Immigranten nicht gebührend geachtet zu werden, die schließlich anderer und viel blutigerer Versuchungen schon teilhaftig geworden waren, versuchten die Berater, den Marschall zu überzeugen, die Armenier nach Transnistrien zu deportieren. Was beinahe geschehen wäre. Die Delegation, die nach längerem Gefeilsche vor den Marschall trat – sie bestand aus genau so vielen Mitgliedern, wie genehmigt worden waren, nämlich zwei –, war in der Absicht zusammengestellt worden, ihn zu rühren. Es waren ein Mann und eine Frau. Der Mann war der Erzbischof Husig Zohrabian, Kopf der Apostolischen Armenischen Kirche in Rumänien. Er sprach über die Jahrhunderte währende Existenz der Armenier auf rumänischem Gebiet und schenkte dem Marschall die Bulle des Alexandru cel Bun von 1401, die mit dem Segen des Patriarchen von Konstantinopel die Gründung des armenischen Bistums von Suceava genehmigte. Die zweite Person aus der Delegation musste nicht sehr viel sagen, sie hatte ohnehin einen gewissen Einfluss auf den Marschall. Es handelte sich um die graziöse Dame Sofia Cihoski, geborene Ferhat, die Ehefrau eines Generals polnischer Abstammung, vormals Armeeminister, strammer Kommandant der rumänischen Armee im Ersten Weltkrieg, der einige Jahre später als Häftling im Gefängnis Sighet sterben sollte. Für den Verzicht auf das Vorhaben, die Nansen-Armenier nach Transnistrien zu deportieren, akzeptierten diese ihre Einberufung zu den Waffen. Manch einer fand ein tragisches Ende, und sein Name steht auf der Liste, die am Heldengedenktag auf dem armenischen Friedhof auf der Chaussee Pantelimon verlesen wird. Andere, etwa die alten Armenier meiner Kindheit, sind kurz vor dem Ende des Krieges erst einberufen worden und hatten als einzigen Schrecken das alliierte Bombardement zu ertragen, das dem Bukarester Nordbahnhof galt. Weil unter diesen Umständen niemand sich um sie kümmerte, kehrten sie trotz der sich verstärkenden Gerüchte, die Front nähere sich der Linie Galați-Focșani, nachhause zurück. Doch zu dieser Zeit war die Armenische Legion, die sich in den Jahren 1941/42 gegründet hatte und über die Krim bis ans Don-Knie gelangt war, längst zerschlagen. Einige Soldaten der Legion, besser ausgebildet und mit dem Fallschirm jenseits der Front abgesprungen, deren Einsatz jedoch verraten worden war, sind schon in der Luft unter Maschinengewehrbeschuss genommen worden und stürzten wie Hagelkörner vom Himmel. Andere wurden mit
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