Buch des Flüsterns
Armenier in Galați, die ihre ehemaligen Vizekonsuln Simion Kehiaian und Harutiun Sbengian in allen Ehren entließen.
In Bukarest unterzeichnete Khântirian dienstbeflissen allerlei Depeschen, in denen er über den Stand der Dinge in einem Rumänien berichtete, das die Kriegswirren noch nicht bewältigt hatte, und die er nach Jerewan sandte. Er empfing seinerseits andere Depeschen, gewiss, es waren deutlich weniger, über die Appelle der armenischen Regierung, die Anerkennung des Vertrags von Sèvres betreffend. Nach Beendigung des Krieges schickte er weitere Depeschen über die armenischen Flüchtlinge, über den Sieg und danach den Niedergang der Averescu-Regierung, über Brătianu, über die Stärkung der armenischen Gemeinden durch die Flüchtlinge und über General Dro. Dafür gingen immer weniger Depeschen ein, bis er schließlich nichts mehr aus der Heimat erhielt, lediglich mal einen verschnarchten Brief von einer der verschiedenen Exilregierungen, die so ziemlich jeder der geflohenen ehemaligen Minister wunders wo ins Leben gerufen hatte: in Paris, New York oder Beirut. Solche Briefschaften nahm Khântirian nicht mehr in seine geschnürten und in schweren, versiegelten Schränken aufbewahrten Akten auf, denn sie enthielten keinerlei Geheimnis mehr, vielleicht eher etwas Rührendes, und ihr Inhalt stand ohnehin kurze Zeit später in den aus dem Ausland eintreffenden Zeitungen. Doch auch als er sah, dass ihm niemand mehr antwortete, fuhr Harutiun Khântirian fort, seine Depeschen zu formulieren und von seinem Sekretär Aram in dessen schöner Kalligrafie zu Papier bringen zu lassen. Aber er heftete sie unversandt sogleich in seinen Dossiers ab. Einmal monatlich klopfte es familiär an der Tür, übrigens das einzige Klopfen, das man im Konsulat noch zu hören bekam und das stets mit einer Mischung aus Freude und Beschämung erwartet wurde, denn es brachte einen Umschlag. Darin befand sich das Geld für den nächsten Monat sowie ein Brief, der bezeugte, dass die Vereinigung der Armenier ihre Pflicht durch das Einsammeln des Geldes erfüllt habe, und die werten Angestellten des Konsulats als Repräsentanten der Heimat grüße. Der Text war stets gleich, bloß die Unterschrift wechselte, je nachdem, wer zufällig in den Jahren, die das Konsulat fortbestand, Präsident der Vereinigung war: Grigore Trancu-Iași, Armenag Manisalian oder Terenig Danelian.
Dort, wo trotz ihrer kurzen Bestandsdauer die Republik Armenien die Gelegenheit gefunden hatte, auf den Weltkarten eingezeichnet zu werden, war das kleine Land lange schon wieder gelöscht worden, die Exilregierungen hatten ihre Aktivitäten samt ihren bombastischen Proklamationen komplett eingestellt, und die heimatvertriebenen Emigranten aus Anatolien hatten in allen vier Himmelsrichtungen Zuflucht gefunden, die Reste ihrer Familien um sich geschart und irgendeinen Handel aufgezogen, mit dem sie über die Runden zu kommen hofften. Allein das Bukarester Konsulat des Harutiun Khântirian und seines Sekretärs Aram, mit seinen hochgezogenen Stores und der rot-blau-orangen Fahne an der Wand sowie den Aktenordnern voller Depeschen nach Nirgendwo verblieb wie die Reliquie einer Republik, die nur noch in den armenischen Nostalgien und im offiziellen Stempel des Konsulats fortbestand. Am 7. Oktober 1929 wurde wieder einmal an die Tür geklopft und ein Umschlag abgeliefert, nur fand Harutiun Khântirian diesmal statt des Geldes einen Brief darin vor, der ebenso wie die vorangegangenen vom Präsidenten der Vereinigung unterschrieben war. Bloß dass in dem schließlich auf dem Schreibtisch vorgefundenen Brief, man hatte angesichts des beharrlichen Schweigens im Inneren des Konsulats schließlich die Tür aufbrechen müssen, nicht mehr vom Vaterland und der glänzenden konsularischen Vertretung die Rede war, sondern vom gleichen Vaterland, das jedoch unmöglich vertreten werden konnte, denn es war von der Landkarte verschwunden. Folglich: »Das Direktorium der Vereinigung der Armenier beschließt die Schließung des von der V.A.R. zur Verfügung gestellten, für ganz Rumänien zuständigen Konsulats.«
Die Vermutungen wurden der Reihe nach durchgesprochen und keine erwies sich als befriedigend. Allen Varianten war die Tatsache gemeinsam, dass der armenische Konsul Harutiun Khântirian nach dem Empfang des Schreibens die Stores herabgelassen und die Türen verriegelt hat. Von innen, schworen die einen. Von außen, insistierten andere. Und fügten hinzu: Wie sollte er sie
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