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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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wildem Zorn in den Wäldern niedergestreckt. Tatsache ist, dass die Armenische Legion es nicht geschafft hatte, den Zweck zu erfüllen, für den sie gegründet worden war, weder erreichte sie jemals armenisches Gebiet, noch konnte sie es gar befreien.
    1940 lagen diese Dinge noch in weiter Ferne. Deutschland war unbesiegt, ein Jahr darauf sollten die deutschen Truppen auf russisches Gebiet vordringen und sich täglich Hunderte Kilometer Land einverleiben. Von Stalingrad hatte noch niemand gehört. General Dro begann, durch deutsche Lager zu ziehen und nach sowjetischen Gefangenen armenischer Herkunft zu suchen. Für diese Leute schien es kein Entkommen zu geben. Als der Krieg begann, stellten ihnen die Offiziere der Roten Armee in Aussicht, dass es für sie bloß Kampf oder Tod gebe, und befahlen: eher Selbstmord als Kriegsgefangenschaft. Jeder sowjetische Soldat, der sich gefangen nehmen lässt, wird als Verräter betrachtet. Wenn du nicht für den Sieg der Sowjetunion kämpfen kannst, bist du schon tot. Die letzte Kugel im Lauf musst du für dich selbst aufbewahren. Angesichts der Gefahr, in den deutschen Lagern umgebracht, sowie der Drohung, von der Roten Armee als Verräter erschossen zu werden, fiel es dem mit großem Beharrungsvermögen ausgestatteten Drastamat Kanayan nicht sonderlich schwer, die Kriegsgefangenen zu überzeugen.
    Im Herbst des Jahres 1941 hatte die Armenische Legion die stattliche Zahl von beinahe achttausend Freiwilligen erreicht. Auch aus Rumänien wurden etliche armenische Gefangene, die in Ermangelung von Lagern zu allerlei Arbeiten eingesetzt worden waren, nach Deutschland geschickt, um dort ausgebildet zu werden und die Reihen der Legion zu verstärken.
    Somit wurde die Legion in Deutschland zusammengestellt, und um in dieser zusammengewürfelten Armee für Ordnung zu sorgen, hatte man die Offiziere vorwiegend aus den Reihen der deutschen Armee ausgesucht. Schließlich bestand die Legion aus einem wilden Haufen von kampfesmutigen Freiwilligen und von Todesangst gezeichneten Häftlingen, erprobten Kämpfern und unausgebildeten Soldaten, Patrioten und Angsthasen, von denen jeder auf seine Weise durchzukommen und sich vor dem Tod zu bewahren suchte. General Dro, der Organisator der Legion, oder, wie manch einer sagte, den das Wort Legion verschreckte, des Armenischen Bataillons, hatte den Kontinent kreuz und quer bereist, um die mehr oder weniger Freiwilligen zu rekrutieren. Hin und wieder kehrte er nach Ploiești zurück, wo es eine andere Art Führungsspitze der Legion gab, eine illusorische, zieht man in Betracht, dass beinahe die gesamte Offiziersschaft der Wehrmacht angehörte. Was jenes vermeintliche Kommando nicht daran hinderte, ununterbrochen beeindruckende Siege zu erfinden, von den Steppen der Krim bis zur Ebene am Fuße des Ararat-Gebirges, wo einige der gegenwärtigen Soldaten der Legion die siegreiche Schlacht bei Sardarapat geschlagen hatten.
    DIE GESCHICHTE VOM EIGENSINN DES HARUTIUN KHÂNTIRIAN . In Bukarest angekommen, war der erste Gang, den General Drastamat Kanayan als treuer Sohn seines Landes unternahm, der zum Konsulat der Republik Armenien. Für mich, den Erzähler, ist es etwas schwierig, den Faden der Geschichte zu bewahren. Sie kommt mir etwas zerhackt vor, wie ein Buch, das man beim Licht von Blitzschlägen liest. Vielleicht müsste diese Geschichte statt
Buch des Flüsterns
den Namen »Buch der Heilung« tragen. Denn sie erzählt von Menschen, die durch unvorstellbares Leid gegangen waren und sich, jeder auf seine Art, von diesem Leid zu heilen suchten. Da jedoch die Wirklichkeit kaum als Heilmittel der Wirklichkeit taugt, kam es meinen Großvätern und den Großvätern meiner Großväter mitunter so vor, als bewegten sie sich im Kreis und begegneten noch einmal den gleichen Schmerzen und Gespenstern. Also ließen sie die realen Tatsachen hinter sich zurück und hielten sich an imaginäre und vorgestellte Dinge, somit an Dinge, die es nicht gab, oder wenn es sie gab, so versteiften sie sich darauf, sie anders zu sehen, als sie in Wirklichkeit waren.
    Das Konsulat war 1918 mit dem Enthusiasmus der Bukarester Armenier gegründet worden, die es am 28. Mai zugleich mit der Ausrufung der Republik eröffneten. Die rumänischen Behörden erkannten es umstandslos an, meinten, ein neues Land, das aus einem zerfallenden Imperium hervorgegangen war, könnte den Völkern und Provinzen des Habsburgerreiches als gutes Beispiel dienen. Zum Generalkonsul wurde Harutiun

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