Buch des Flüsterns
Bedrosian um zu Der Dagead, an dem sich nur der Rauch aus dem Weihrauchkessel bewegte, und dann zu meinem Großvater, er wiegte leicht den Kopf, setzte sein Käppchen wieder auf, grüßte militärisch, vermied immerhin den nationalsozialistischen Gruß, und ging hinaus, steifen Schrittes von seinen Gefährten gefolgt, aber nicht ohne die Ankündigung, wiederzukommen. Sehr zur Freude der Armen, die sich auf dem alten Friedhof innerhalb des Kirchengeländes versammelt hatten, denn sonst verspürte niemand mehr ein Verlangen nach den Gerichten des Festmahls.
Tatevos Bedrosian, der zum deutschen Offizier gewordene Lehrer, kam nicht mehr nach Focșani, denn die Armenische Legion blies ausgerechnet in Holland zur Versammlung, wo sie einquartiert war. Tatevos kehrte nach Constanța zurück, wo damals etwa zehntausend Armenier lebten und die Chancen, jemanden rekrutieren zu können, größer waren. Er organisierte weiterhin Begegnungen, und an der einen oder anderen beteiligte sich auch General Dro. Eine Aufzeichnung einer solchen Begegnung ist auf uns gekommen, sodass wir ihre Teilnehmer kennen: Tatevos Bedrosian, Direktor der armenischen Schule von Constanța, Geschichtslehrer; Garo Zartarian, Industrieller, einflussreicher Politiker innerhalb der armenischen Gemeinschaft; Măgârdici Musaian, Gemüsebauer, vertrauter Mitarbeiter von Dro; Hapet Kasparian und Vazken Kasparian, Vater und Sohn, Kaffeehändler; Hosrov Bedrosian, Getreidehändler; Aram Sarchisian, Kaufmann; Hovhannes Sahaghian, Lehrer an der armenischen Schule. Diejenigen, denen es im Unterschied zu Tatevos Bedrosian nicht gelungen war, vor dem Eintreffen der Russen zu fliehen, wurden der Reihe nach verhaftet, und wenn sie nicht an Ort und Stelle erschossen wurden, wie es in Rostow oder Charkow geschah, hat man sie zu vielen Jahren Zwangsarbeit verurteilt und nach Sibirien deportiert.
Über Tatevos Bedrosians Soldaten hat man nichts mehr erfahren, vermutlich sind sie im Kessel von Stalingrad gestorben. Von Tatevos kursierte das Gerücht, er habe entkommen können und sei nach Deutschland gegangen, verstärkt wurde dieses Gerücht auch dadurch, dass seine Frau und die beiden Töchter Emma und Seta letztlich ebenfalls dorthin gingen. Măgârdici Musanian wurde verhaftet und nach Sibirien geschickt. Er war ein gläubiger Mensch. Sein Leib verschied im Eis von Ostsibirien. Aber er hatte noch die Kraft, mit einem Restchen Seele an den trockensteifen Gelenken hängend, wie ein Kleidungszipfel, der sich an einer Kellertür verfangen hat, so lange zu überleben, bis er vom Pfarrer Hamazasp Bedikian aus Constanța die letzte Segnung empfangen hatte. Der statt der Worte, mit denen er gewöhnlich die Reihen der Kriegstoten und der im sibirischen Exil Gestorbenen bedachte, nämlich »auf den grausamen Tod unvorbereitet gestorben«, diesmal die beiden Tode des Măgârdici Musanian in einen zusammenfasste: »Dahingerafft von einem grausamen Tod, aber vorbereitet.«
Arachel, sein Sohn, versuchte danach in Erfahrung zu bringen, was mit seinem Vater geschehen war, um seine Leiden zu verstehen, sein Schweigen danach und, wieder heimgekehrt, die Eile beim Sterben. Da aber aus der Constanțaer Gruppe kein Deportierter mehr zurückkehrte und erzählen hätte können, erlaubte sich Arachel Musaian, als sich die Zeiten etwas geändert hatten und jede andere Möglichkeit, über das Schicksal seines Vaters während des ersten Nachkriegsjahrzehnts etwas zu erfahren, erschöpft war, den Behörden zu schreiben. Die Antwort des Rumänischen Informationsdienstes 16 schließt unsere Geschichte über die Armenische Legion in einer Weise ab, dass kein noch so zarter Lichtstrahl durch die Türritzen dringt:
Rumänien – Rumänischer Informationsdienst, Büro für öffentliche Angelegenheiten, Nr. 70865 vom 16.09.2005, Herrn Musaian Arachel, Constan
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a, Boulevard Ferdinand, Nr. 93, Kreis Constan
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a. Hinsichtlich Ihres an den
SRI
– Kreisbüro des Informationsdienstes Constan
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a gerichteten Schreibens vom 31.08.2005 mit der Registriernummer 3546158 teilen wir Ihnen mit, dass sich aufgrund unserer Überprüfungen im von den ehemaligen Securitate-Organen übernommenen Archivmaterial Folgendes ergeben hat: Musaian Măgârdici, Sohn des Mesrop und der Chiuvage, geboren am 25.01.1891 in der Türkei, wurde von einem sowjetischen Offizier und zwei Zivilisten am 6. Juni 1945 aufgrund des Verdachts, sich im Rahmen der Organisation »Da
ș
nag« armenisch-nationalistischer Tätigkeiten zu
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