Buch des Flüsterns
widmen, verhaftet. Nach seiner Festnahme wurde er in die UdSSR deportiert und zu 5 (fünf) Jahren Gefängnis und weiteren 5 (fünf) Jahren Zwangsaufenthalt in Sibirien verurteilt. Am 15. Mai 1956 ist er heimgekehrt und hat sich an seinem früheren Wohnsitz in Constan
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a niedergelassen. Aus den Unterlagen, über die wir verfügen, ist weder die Registriernummer des Urteils zu entnehmen, noch kann das Gericht benannt werden, das dieses Urteil verkündet hat.
Unterschrieben ist dieser Brief mit einer Wellenlinie, die alle Lesarten zulässt und suggeriert, dass der Unterzeichnende ebenso unerkannt bleiben möchte, wie es die Zivilisten und der Offizier waren, welche die Verhaftung vorgenommen, und wie es die Instanz war, die das Urteil gesprochen hat.
Die Legion begann Ende 1941. Die Namen der Rekruten kennt man nicht ganz genau. Auch die Zahl der Soldaten wird unterschiedlich angegeben, von achttausend bis zwanzigtausend. Das Problem bei diesen unterschiedlichen Zahlenangaben besteht eigentlich darin, dass wir nicht wissen, wie viele Tote wir den in den Kriegen Gefallenen hinzufügen müssen, Tote, die im Unterschied zu den auf gewöhnliche Weise Gestorbenen das Unglück vereint, zweimal begraben worden zu sein: in der Erde und in den Statistiken. In seiner antibolschewistischen Leidenschaft hat General Dro drei Dinge ignoriert. Zuvörderst, dass die Deutschen nicht bereit sein würden, eine ganze Division zu bewaffnen, ohne daraus einen Nutzen ziehen zu wollen, und dass sie das Schicksal der Armenier und Armeniens, wo auch immer dieses liegen mochte, ebenso wenig interessierte, wie es die alliierten Mächte nach dem Ersten Weltkrieg interessiert hatte. Die armenischen Offiziere, die man aus den Reihen der kriegsgefangenen Sowjets rekrutierte, verloren ihren Rang, während die Offiziersgrade der Armenischen Legion aus den Reihen der Wehrmacht stammten. Als Nächstes, dass Hitler um nichts in der Welt auf den Gedanken hätte kommen können, Armenien die Unabhängigkeit zu belassen – ebenso wie er nicht im Sinn hatte, irgendeinem anderen Flecken in Europa seine Freiheit zu belassen. Absicht der deutsche Armee war es, unter Zuhilfenahme der Armenischen Legion Armenien genauso zu befreien, wie die Rote Armee ein paar Jahre später mithilfe der Division »Tudor Vladimirescu« Rumänien befreite, indem sie sich nämlich in eine Besatzungsarmee verwandelte. Und drittens ignorierte Dro, dass der Weg nach Armenien zwangsläufig an Stalingrad und dem Don-Knie vorbeiführte, insbesondere aber wusste er nicht, was dies für die deutsche Armee einmal bedeuten würde.
Wenn sie nicht schon am Himmel beim Versuch, sich hinter die sowjetischen Linien einzuschleusen, von Maschinengewehrfeuer niedergemacht wurden, oder einer nach dem anderen in den Wäldern sowie bei ihrem frostgebeutelten Hungermarsch über die schneebedeckten Steppen gejagt und niedergestreckt wurden, wenn sie nicht im Kessel von Stalingrad erfroren oder verhungert sind, wurden die Soldaten der Armenischen Legion von den Russen erschossen, die keine Gnade für sie kannten. Entlang der gesamten Strecke, die die Legion zurücklegte, gab es Repressionen – wer in den Verdacht geriet, sie beherbergt, ernährt oder ihr auch nur zugejubelt zu haben, wurde standrechtlich erschossen. General Drastamat Kanayan haben die Russen nicht finden können, obwohl sie mit großem Eifer in Bukarest und Ploiești nach ihm suchten. Sie vermuteten, er verstecke sich in den Bergen, bis der General selbst, um sie ihrer Bemühungen zu entheben, in Beirut eine Erklärung abgab, wo er sich ebenso unversehrt wie unversöhnt aufhielt. Und von dort reiste er in die Vereinigten Staaten, wo er 1956 starb. Und, wie schon gesagt, von dort kehrte er über vierzig Jahre später wieder nach Armenien zurück, um unter Beteiligung von Zehntausenden auf dem Feld von Baș-Abaran beerdigt zu werden.
Über die Armenische Legion, die Kommandantur des Generals Dro in Ploiești oder die Expeditionen in den Strejnicu-Wald hat niemand mehr ein Wort verlauten lassen. Jetzt, da ich das
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schreibe und den einen oder anderen darüber befrage, was damals geschehen ist, antwortet man mir, man wisse nichts, weil die Großeltern oder Eltern nie etwas darüber erzählt hätten. Im Strejnicu-Wald ist Gras über die Hufspuren der Pferde von General Dro gewachsen, und der wilde Honig hat die Kugellöcher in den Baumstämmen verstopft. Und was die Waffen des Generals Dro betrifft, ob es sie gegeben hat
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