Buch des Todes
noch bei Bewusstsein gefühlt. Doktor Kittelsen hatte die Obduktion vorgenommen, ihn langsam gehäutet, um die Haut anschließend an den Meistbietenden zu versteigern. Es hatte damit geendet, dass Singsaker sie schließlich selbst ersteigert und sich wie einen Umhang über die Schultern gelegt hatte. Als er aufwachte, war er alles andere als ausgeruht.
»Singsaker«, krächzte er ins Telefon, das er aus der Hosentasche gekramt hatte, ohne sich vom Bett zu erheben.
Ein Beamter präsentierte sich mit einem Namen, den Singsaker nicht richtig verstand.
»Wir stehen draußen vor Ihrer Tür und wollen einen Be weisgegenstand abholen und in die Kriminaltechnik bringen.«
Singsaker stand langsam aus dem Bett auf und sah sich um. Draußen dämmerte es. Der Raum lag im Halbdunkel, und er stellte schnell fest, dass er sich nicht zu Hause befand.
»Ich bin grad einkaufen. Sagen Sie Bescheid, dass ich das Beweisstück später selbst vorbeibringe«, antwortete er und legte auf. Ihm war übel. Übelkeit war nicht gut. Er hasste sie fast ebenso sehr wie die Schweißausbrüche. Er schob die Füße aus dem Bett und stellte sie auf den Flickenteppich, blieb schwankend auf der Bettkante sitzen. Sein Blick blieb an dem Nachtschränkchen hängen, auf dem ein Stapel Krimis lagen. Oben auf dem Stapel lag ein Handy, neben dem ein gelber Post-it-Zettel klebte. Es dauerte etwas, bis seine Augen das Geschriebene entziffert hatten. Und noch etwas länger, bis auch sein Hirn verstand, was es zu bedeuten hatte.
»Egon im Hotel Prinsen. 10 Uhr. Buch mitnehmen«, stand dort.
Er nahm den Zettel mit und stand auf.
Das Sicherheitsschloss ließ sich von innen nicht öffnen, sodass er denselben Weg nahm, über den er gekommen war, und über die Leiter nach unten kletterte.Von der zehnten Sprosse sprang er nach unten auf den Rasen.Auf dem Trampolin saßen zwei Jugendliche, ein Junge und ein Mädchen.Was sie da gemacht hatten, wusste er nicht, aber sie starrten ihn an, als wäre er vom Himmel gefallen. Er grüßte sie und ging ruhig um das Haus herum.
Odd Singsaker rief Hornemann privat an.
»Ich brauche die Telefonnummer von Silvia Freud«, sagte er.
»Ich kann Ihnen ihre Visitenkarte aufs Handy schicken«, antwortete Hornemann höflich.
»Wissen Sie, wann sie heute die Bibliothek verlassen hat?«, fragte er.
»Nein, aber sie muss früh gegangen sein. Heute Nachmittag habe ich sie nicht mehr gesehen.«
»Ich habe noch eine Frage«, sagte Singsaker, bevor er auflegte. »Diese Kopie, die Freud vom Johannesbuch angefertigt hat, die ist sehr gut, nicht wahr?«
»Ja, das ist sie.«
»Woran kann man erkennen, dass es sich nicht um das Original handelt?«
»Das ist einfach, wenn man das Buch richtig untersucht, also mit Lupe, fluoreszierendem Licht und so.Aber selbst dann muss man sich ein bisschen auskennen.«
»Und wenn man das Buch mit bloßem Auge betrachtet?«
»Dann muss man schon einen verdammt scharfen Blick haben, um einen Unterschied zum Original zu erkennen.«
»Wie viele bei Ihnen würden den Unterschied ohne nähere Untersuchung bemerken?«
»Nicht viele, vermutlich nur Silvia selbst.«
»Und wer würde bei Ihnen ein Buch untersuchen, um seine Echtheit zu überprüfen?«
»Das wäre auch Silvia.«
»Die Bücher im Sicherheitstrakt, werden die jemals ausgeliehen?«
»Vereinzelt wurden welche an Wissenschaftler ausgeliehen, die dann unter Aufsicht darin blättern durften.«
»Ich verstehe.Wie ist das mit dem Johannesbuch ?«
»Das war zur Ansicht bei einigen wenigen Historikern. In Zukunft sollen Interessenten Silvias Kopie ausleihen dürfen. Das echte Buch bleibt im Sicherheitstrakt und soll auf unbestimmte Zeit nicht mehr angerührt werden. Es ist ganz einfach zu wertvoll für den Gebrauch.«
»Das wäre dann im Grunde genommen so, als würde es nicht existieren?«
»In gewisser Weise, ja.Aber so kann das Buch über längere Zeit bewahrt werden.«
Singsaker dankte Hornemann für das Gespräch und legte auf.
Gleich darauf bekam er die Visitenkarte und rief Silvia Freud an. Es hörte sich an, als wäre sie bei der gleichen Mobilfunkgesellschaft wie Siri Holm: »Dies ist die Mailbox des Anschlusses …« Er blickte auf die elektronische Visitenkarte, die Hornemann ihm geschickt hatte. Neben der Handynummer stand dort auch eine Privatadresse. Silvia Freud wohnte in Solsiden, und dieses Viertel lag praktischerweise auf dem Weg zum Präsidium.
Solsiden war so etwas wie das Nobelviertel Trondheims. Die Menschen sprachen vom
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