Bucheckern
dreinblickender Mann um die Fünfzig mit beginnender Stirnglatze machte offensichtlich gerade Pause, war in den ›Spiegel‹ vertieft und ließ sich dabei seine Pfeife schmecken.
„Jetzt musst du uns aber endlich verraten, was wir heute machen, bitte, Papa!“, bettelten Lisa und Max mindestens zum zwanzigsten Mal. Schon während der Fahrt quer durch die ganze Stadt versuchten sie, die Pläne ihres Vaters zu erraten. Nicht in den Zoo und auch nicht ins Schwimmbad, nicht zu den Computern im ZKM und auch nicht ins Vivarium am Friedrichsplatz – bei allem, was die Kinder nannten, schüttelte Jan Sternberg seinen Kopf. „Nein, nein, ihr kommt bestimmt nicht drauf“, sagte er schließlich, als sie auf dem Grünstreifen neben dem geteerten Feldweg angehalten hatten.
„Einen Moment noch“, er ging nach hinten, um die Heckklappe seines VW-Passat zu öffnen, „die Überraschung ist im Kofferraum.“
„So, Lisa, das kannst du mal nehmen.“ Sternberg hängte seiner Tochter einen schwarzen Kasten mit einigen Knöpfen und zwei nach oben ragenden kleinen Hebeln um den Hals.
„Das ist doch so eine ...“ Max wusste den rechten Ausdruck nicht, aber als sein Vater noch eine silbrig glänzende Teleskopantenne auszog, riefen beide Kinder gleichzeitig: „... eine Fernsteuerung!“
„Genau, und zwar dafür!“ Sternberg zog eine karierte Decke weg. Lisa und Max waren begeistert: „Ein Flugzeug, ein richtiges kleines Flugzeug!“
„Ja, es hat sogar einen Motor und einen Propeller. Komm Max, halt den Rumpf mal fest.“ Mit wenigen Handgriffen hatte er noch die Tragflächen befestigt. „So, fertig, es kann losgehen. Erst zeige ich euch, wie es geht und dann dürft ihr selbst steuern.“
Der lange gerade Weg war durch seine glatte asphaltierte Oberfläche eine ideale Startbahn. Sie gingen einige Meter von ihrem Auto weg und setzten den Hochdecker vorsichtig ab.
„Es gehört einem Nachbarn vom Paul, meinem Kollegen, den kennt ihr doch. Ja und der Paul, der wollte euch eine Freunde machen und hat den Flieger für uns ausgeliehen. Da habe ich ihn natürlich gleich abgeholt und mir für heute vollends frei genommen.“
„Toll, Papa, wo doch Mami den ganzen Nachmittag arbeiten muss und wir wieder alleine zu Hause gewesen wären.“
Die Familie hatte vor einigen Jahren in der Pfalz, einige Kilometer über dem Rhein, ein kleines altes Haus gekauft. Trotz unzähliger Stunden Eigenleistung und einer kleinen Erbschaft, die sie gemacht hatten, wurden die Kosten für die Renovierung höher und höher, sodass Sternbergs Frau wieder ab und zu in ihrem erlernten Beruf als Altenpflegerin arbeitete, um noch etwas dazu zu verdienen. Ihren Vater einen ganzen Nachmittag für sich zu haben, war für die Kinder auch deshalb etwas ganz Besonderes, weil Jan Sternberg seine Freizeit sonst überwiegend mit Bauarbeiten zubrachte.
„Wenn das der Patrick wüsste, mein Nebensitzer“, strahlte Max.
Sternberg wurde bei ›Patrick‹ schlagartig wieder bewusst, warum sie eigentlich hier waren, denn ein Junge mit diesem Namen saß in der Schule tatsächlich neben seinem Sohn.
Er ließ sich aber nichts anmerken und startete schnell den kleinen Benzinmotor.
Der Nachbar von Paul Wellmann, von dem das Flugzeug tatsächlich geliehen war, hatte ihm zuvor alles genau erklärt und auch eine halbe Stunde Praxiseinweisung gegeben, sodass Jan Sternberg vor seinen Kindern nun als Modellflug-Profi auftreten konnte.
Damit sie genau sahen, wie die Fernsteuerung zu bedienen war, setzte sich ihr Vater zwischen die beiden auf einen niedrigen dreibeinigen Klapphocker. Mit laufendem Motörchen stand die kleine Maschine vibrierend vor ihnen. Der Propeller drehte sich immer schneller.
„Wir müssen beim Starten und Landen nur aufpassen, dass niemand auf dem Weg daherkommt. Ein Traktor oder jemand mit dem Rad“, erklärte er, gab noch mehr Gas und brachte das Flugzeug mit kurzem Anlauf in die Luft.
Mit großen Augen verfolgte Max den weißen Flieger und auch seine Schwester schaute fasziniert zu. Für ein Mädchen in der beginnenden Pubertät gab es natürlich Interessanteres als ein Modellflugzeug, aber einen Nachmittag mit ihrem Papa und dazu noch mitten in der Woche, empfand auch sie als etwas ganz Besonderes.
Einige Male demonstrierte Sternberg seinen Kindern die Funktionen der beiden Joysticks an der Funksteuerung. Höhen- und Seitenruder, Gas geben und wegnehmen, linke und rechte Kurven, auf und ab – dann gab er seiner Tochter das Gerät in die Hand.
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