Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
hätte dreißig, vierzig Meter entfernt sein können – brannte ein Feuer, das sich deutlich von den übrigen unterschied. Zum einen hatten die Flammen eine andere, fahlere Färbung und rauchten. Zum anderen prasselte es darin, Funken stoben nach allen Seiten. Und schließlich befand sich das Feuer an ungebührlicher Stelle, fiel aus der strengen Anordnung der anderen heraus.
    »Dann wollen wir mal schauen«, murmelte Jungern und zerrte mich am Ärmel.
    Die Leute, die an dem Feuer hockten, waren von sichtlich anderem Schlag als des Barons sonstige Schützlinge. Sie waren zu viert. Der Lebendigste von ihnen, ein dicker Kerl im giftrosa Jackett und mit kastanienbraunem Igelschnitt auf dem kleinen, kanonenkugelförmigen Kopf, saß da und hielt sich mit beiden Armen umschlungen, man konnte meinen, der eigene Körper stachelte ihn zu unkeuschen Leidenschaften an. Dazu ein unentwegtes Jaulen:
    »Ich! Ich! Ich!«
    Der Tonfall dieses Geheuls änderte sich jedoch mit der Zeit – als wir darauf aufmerksam geworden waren, hatte es noch etwas triumphierend Animalisches gehabt, beim Näherkommen wurde es irgendwie zweifelnder. Neben dem Schreihals kauerte ein magerer Typ mit krausem Haarschopf, der eine Art Matrosenjacke trug und wie paralysiert ins Feuer starrte – hätten sich nicht von Zeit zu Zeit seine Lippen bewegt, hätte man sich fragen müssen, ob er bei Bewußtsein war. Nur der dritte, ein kahlrasierter Dicker mit akkurat gestutztem Kinnbart, schien zu wissen, was er tat – er rüttelte und schüttelte seine Gefährten nach Kräften, um sie zur Räson zu bringen. Halb schien ihm das zu gelingen: In den spillrigen Blonden mit der Tolle kam Bewegung, er begann zu lamentieren und sich zu wiegen wie im Gebet. Gerade wollte der Kahlkopf den dritten in die Seite puffen, als sein Blick auf uns fiel. Entsetzen malte sich auf seinem Gesicht – er brüllte den anderen etwas zu und sprang auf.
    Der Baron fluchte leise. Er hielt plötzlich eine Handgranate in der Hand, zog den Ring und warf sie in Richtung Feuer; keine fünf Meter von uns entfernt klatschte sie auf. Instinktiv hatte ich mich zu Boden geworfen und die Hände über den Kopf gelegt; einige Sekunden verstrichen, die Detonation blieb aus.
    »Stehen Sie auf«, sagte Jungern.
    Ich öffnete die Augen und sah den Baron in verzerrter Perspektive über mich gebeugt: die Hand, die er mir entgegenstreckte, direkt vor meinem Gesicht, die aufmerksam auf mich herunterblickenden Augen, in denen der Widerschein zahlloser Feuer ineinander verschmolz, wie zwei einsame Sterne am Firmament.
    »Danke. Ich kann schon selber«, sagte ich, während ich mich erhob. »War wohl ein Blindgänger?«
    »Wieso?« fragte der Baron. »Ganz im Gegenteil.«
    Ich sah zu der Stelle hin, wo eben noch das Feuer gewesen war, und mußte verblüfft feststellen, daß es ebenso verschwunden war wie die darum sitzenden Menschen; nicht einmal ein Stückchen verbrannte Erde konnte ich entdecken.
    »Was war das?« fragte ich.
    »Ach«, sagte der Baron, »nur ein paar Hooligans. Zuviel Zauberpilze gefressen. Die wußten selbst nicht, wo sie gelandet waren.«
    »Haben Sie sie …«
    »Nicht doch. Was glauben denn Sie. Ich habe sie nur zur Besinnung gebracht.«
    »Ich bin mir beinahe sicher, den Dicken mit dem Bart schon gesehen zu haben. Nein, nicht nur beinahe – ich bin mir absolut sicher.«
    »Im Traum vielleicht?«
    »Könnte sein«, sagte ich, und mir schien, daß er recht hatte: Jener Kahlkopf verband sich in meiner Erinnerung eindeutig mit weißen Kachelwänden und kalten Nadeln auf der Haut, was ja zur Grundausstattung meiner Träume gehörte. Für kurze Zeit war mir, als müßte ich sogar auf seinen Namen kommen, dann wurde ich von anderweitigen Überlegungen abgelenkt. Jungern stand schweigend neben mir; offenbar wägte er die Worte, die er gleich aussprechen würde.
    »Sagen Sie, Pjotr«, begann er schließlich, »wie sind Sie eigentlich politisch einzuordnen? Monarchist?«
    »Was dachten denn Sie! Habe ich daran irgendwelche Zweifel gelassen?«
    »Nein, nein. Ich suche nur gerade nach einem Beispiel, das Ihnen einleuchten könnte. Stellen Sie sich einen schlecht gelüfteten Raum vor, in dem furchtbar viel Leute zusammenhocken. Alle sitzen sie auf klapprigen Schemeln und wackligen Stühlen, irgendwelchen Bündeln und was sich sonst gerade fand. Wer geschickt ist, hat es sich auf zwei Stühlen gleichzeitig bequem gemacht oder jemanden aufgescheucht, um sich selbst niederzulassen. Das ist die Welt, in

Weitere Kostenlose Bücher