Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
der Sie leben. Zugleich jedoch hat jeder einzelne dieser Menschen seinen eigenen Thron: ein großes, glänzendes Möbel, weit über seine Welt hinausragend und alle übrigen Welten ebenso. Ein wahrer Zarenthron, es gibt nichts, was nicht in der Macht desjenigen stünde, der auf ihm zu sitzen kommt. Und was die Hauptsache ist: Dieser Thron ist absolut legitim, jedem Menschen von Rechts wegen zustehend. Nur ihn zu besteigen ist schier unmöglich. Verstehen Sie? Er steht nämlich nirgendwo.«
    »Ja …«, sagte ich nachdenklich. »Dieses Wort ist mir erst gestern durch den Kopf gegangen, Herr Baron. Ich weiß, was es heißt.«
    »Dann überlegen Sie mal weiter«, sagte der Baron. »Ihre beiden Zwangsvorstellungen – mit Tschapajew und ohne – sind hier, ich sagte es schon, gleichermaßen illusorisch. Um ins Nirgendwo zu gelangen, auf besagten Thron und zu Freiheit und Glück ohne Ende, muß man nur noch den einen verbliebenen Raum beiseite schaffen – den, in dem Sie mich und sich sehen. Das ist es, was alle meine Pappenheimer hier versuchen. Aber die Chancen für sie stehen schlecht, und sie werden wohl oder übel nach einiger Zeit einen weiteren dieser deprimierenden irdischen Existenzkreise absolvieren. Warum aber sollte es Ihnen nicht gelingen, zu Lebzeiten ins Nirgendwo zu gelangen? Ich schwöre Ihnen, das ist das Beste, was man in dieser Zeit tun kann. Ich denke, Sie mögen Metaphern, darum sage ich Ihnen: Es ist wie eine unverhoffte Entlassung aus dem Irrenhaus.«
    »Glauben Sie mir«, begann ich emphatisch, die Hand an die Brust gelegt, doch der Baron ließ mich nicht zu Wort kommen.
    »Es muß aber geschehen, bevor Tschapajew sein tönernes Maschinengewehr betätigt. Denn hinterher bleibt, wie Sie wissen, gar nichts übrig, nicht einmal ein Nirgendwo.«
    »Tönernes Maschinengewehr? Was soll denn das sein?«
    »Tschapajew hat Ihnen nichts davon erzählt?«
    »Nein.«
    Jungern zog die Stirn kraus.
    »Dann wollen wir dieses Thema besser nicht vertiefen. Bleiben wir bei unserer Metapher, die können Sie sich merken: die Entlassung aus dem Irrenhaus. Und vielleicht träumen Sie wieder mal einen Traum, in dem Sie sich an unser Gespräch erinnern werden. Jetzt müssen wir weiter. Die Jungs werden warten.«
    Der Baron packte meinen Ärmel, und die zackigen Leuchtstreifen flirrten aufs neue an uns vorbei. An diesen phantastischen Anblick hatte ich mich inzwischen so weit gewöhnt, daß mir der Kopf nicht mehr schwirrte. Der Baron ging voran, die Augen konzentriert in die Finsternis gerichtet; ich betrachtete sein fliehendes Kinn, den rötlichen Schnauzer, die bittere Falte im Mundwinkel, und ich kam zu dem Schluß, daß sein Äußeres durchaus nichts Furchteinflößendes hatte.
    »Sagen Sie, Baron, wieso haben die Leute hier alle so viel Angst vor Ihnen?« traute ich mich zu fragen. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie sehen mir nicht so aus, als müßte man vor Ihnen erschrecken.«
    »Nicht alle sehen das, was Sie sehen«, erwiderte der Baron. »Meinen Freunden zeige ich mich für gewöhnlich als der Petersburger Intellektuelle, der ich früher einmal war. Aber daraus muß man nicht schließen, daß ich tatsächlich so aussehe.«
    »Was sehen denn die anderen?«
    »Ich möchte Ihnen lästige Details ersparen. Vielleicht reicht es, wenn ich sage, daß jede meiner sechs Hände einen scharfen Säbel gezückt hält.«
    »Und welcher Anblick ist der echte?«
    »Einen echten habe ich leider nicht.«
    Die Worte des Barons machten durchaus Eindruck auf mich. Mit einiger Überlegung hätte ich freilich auch selbst auf alles das kommen können.
    »Wir sind gleich da«, sagte der Baron im Ton eines Sonntagsspaziergängers.
    Ich sah ihn von der Seite an und stellte eine neue Frage: »Vielleicht verraten Sie mir noch, warum man Sie den Schwarzen Baron nennt?«
    Jungern lächelte.
    »Ach … Das hat wahrscheinlich damit zu tun, daß der leibhaftige Buddha Bogdo-Gegen-Tutuchtu mir damals, als wir in der Mongolei standen, den schwarzen Palankin zugesprochen hat.«
    »Und wieso benutzen Sie dann einen grünen?«
    »Weil man mir den auf gleiche Weise zugesprochen hat.«
    »Dann könnten Sie also genausogut Grüner Baron heißen?«
    Jungerns Gesicht verfinsterte sich.
    »Ein bißchen viel Fragen auf einmal, finden Sie nicht? Sie sollten lieber die Gegend studieren und sich alles gut einprägen. Das sehen Sie nicht noch einmal. Theoretisch bestünde natürlich die Möglichkeit, doch wünsche ich Ihnen von Herzen, daß es

Weitere Kostenlose Bücher