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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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nicht so weit kommt.«
    Ich befolgte den Ratschlag des Barons.
    Weit vorn war ein Feuer aufgetaucht, das die anderen an Größe zu übertreffen schien. Es kam nicht so geschwind auf uns zugerast, rückte allmählich, unserem Schritt angemessen, näher. Ich ahnte, daß dies das Ziel unseres Ausflugs war.
    »Sind das Ihre Freunde an dem großen Feuer dort?« fragte ich.
    »Ja. Aber Freunde würde ich sie nicht nennen. Frühere Regimentskameraden. Ich war einmal ihr Kommandeur.«
    »Und Sie waren gemeinsam im Feld?«
    »Das auch«, antwortete der Baron. »Entscheidender ist, daß wir damals in Irkutsk zusammen erschossen worden sind. Nicht, daß es meine Schuld war, aber trotzdem. Ich fühle für sie eine besondere Verantwortung.«
    »Das kann man verstehen. Wenn es mich an einen öden und düsteren Ort wie diesen verschlüge, wünschte ich bestimmt auch, daß mir jemand zur Seite steht.«
    »Nun ja«, sagte der Baron, »vergessen Sie nicht, daß Sie noch am Leben sind. Diese ganze Düsternis und Öde um uns herum ist in Wahrheit das hellste Licht, das es gibt. Warten Sie doch mal!«
    Ich blieb automatisch stehen, und bevor ich mir ausmalen konnte, was er vorhatte, stieß mich der Baron kräftig in den Rücken.
    Dennoch wurde ich dieses Mal nicht ganz so kalt erwischt. Im Fallen schaffte ich es sozusagen noch, mich des winzigen Moments der Rückkehr, des Zurückspringens in die normale Welt zu vergewissern – und wenn da eigentlich nichts war, dessen man sich vergewissern konnte, so verstand ich zumindest, worin diese Rückkehr bestand. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es war, als hätte man eine Kulisse weggerissen, bevor die neue am Platz war, so daß ich eine Sekunde lang in den Zwischenraum schauen konnte. Diese Sekunde genügte, um hinter dem, was ich bislang für Realität gehalten, die Täuschung zu erkennen, das ganze simple, biedere Gerüst des Weltalls, das zu erblicken nichts als Bestürzung, Enttäuschung und eine gewisse Scham hinterließ.
    Der Stoß vom Baron war so heftig, daß ich nicht mehr dazu kam, die Hände rechtzeitig nach vorn zu strecken, und mit der Stirn aufschlug.
    Als ich den Kopf hob, sah ich mich von der Welt umgeben die ich kannte: Steppe, Abendhimmel, die nahegelegene Hügelkette. Vor mir der schaukelnde Rücken des Barons – er lief auf das einzige Lagerfeuer zu, das weit und breit zu sehen war. Eine senkrechte, weiße Rauchsäule stand darüber.
    Ich sprang auf, klopfte mir den Schmutz von den Knien. Dem Baron nachzufolgen, konnte ich mich nicht entschließen. Er war inzwischen fast bei dem Feuer angelangt; bärtige Gestalten in Tarnanzügen und zottigen gelben Pelzmützen liefen ihm entgegen.
    »Hallo, Jungs!« hörte ich Jungern im deftigen Kommandeursbaß brüllen. »Wie läuft's?«
    »Man tut, was man kann, Euer Hochwohlgeboren! Lebt sich so hin! Gott sei's gedankt!« tönten die munteren Antworten. Der Baron wurde so dicht umringt, daß ich ihn nicht mehr sehen konnte. Es war offenkundig, daß seine Kämpen ihn liebten.
    Ich sah nun, wie einer der gelb bemützten Kosaken sich vom Lagerfeuer löste und auf mich zukam. Sein Gesicht war so tierisch wild, daß ich im ersten Moment erschrak; der Anblick des geschliffenen blaugrünen Trinkglases in seiner Hand beruhigte mich.
    »Na, mein Herr«, sagte er grinsend, als er heran war, »bißchen Angst vorm schwarzen Mann?«
    »Da ist was dran«, sagte ich.
    »Dann stärk dich«, sagte der Kosake und reichte mir das Glas.
    Ich trank. Es war Wodka. Beinahe augenblicklich wurde mir leichter ums Herz.
    »Danke. Kommt sehr gelegen.«
    »Und?« fragte der Kosake, während er das leere Glas entgegennahm, »seid Ihr mit dem Herrn Baron befreundet?«
    »Na ja«, antwortete ich ausweichend, »man kennt sich.«
    »Er ist streng«, führte der Kosake aus. »Alles nach Plan. Erst wird gesungen, und dann kommen die Fragen. Das heißt, gefragt werden die anderen. Ich bin schon auf dem Sprung. Heute reise ich ab. Für immer.«
    Als ich mir den Mann näher ansah, schien sein Gesicht gar nicht mehr so tierisch – nur grob geschnitten, verwittert und von der Gebirgssonne verbrannt. Hinter dieser Grobheit ließ sich sogar ein nachdenklicher, wenn nicht träumerischer Ausdruck erkennen.
    »Wie heißt du?« fragte ich den Kosaken.
    »Ignat. Und du bist Pjotr?«
    »Stimmt. Woher weißt du?«
    Ein Lächeln spielte um seinen Mund.
    »Ich bin vom Don. Du aus der Hauptstadt, nicht wahr?«
    »Echter Petersburger.«
    »Ja, Pjotr, ich tät dir raten, dem

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