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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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soll das mit der Mütze?«
    »Keine überflüssigen Anhängsel mehr.« »Apropos, wieso sind eure Mützen eigentlich gelb?«
    »Wir gehören doch zu den Gelug-pa, die haben gelbe Mützen. Die Karma-pa haben rote. Und die Bon-po schwarze, die sind am Don. Aber darum geht es gar nicht. Wenn man sowieso den Kopf verliert, ist es egal, welche Mütze vorher draufgesessen hat, nicht wahr? Oder andersrum gesehen: Die Freiheit fängt da an, wo Farben keine Rolle mehr spielen.«
    »Na, das hat euch der Herr Baron nicht übel erklärt. Ich versteh bloß eins noch nicht: Was ist denn diese Hauptsache, die losgeht, wenn der Kopf ab ist?«
    Ignat seufzte tief.
    »Genau da liegt der Hase im Pfeffer«, sagte er. »Das will der Herr Baron jeden Abend von uns wissen. Aber keiner kommt drauf, obwohl sich alle Mühe geben. Weißt du, was wird, wenn einer von den Jungs die richtige Antwort weiß?«
    »Wie sollte ich.«
    »Der Herr Baron holt ihn vom Fleck weg ins Sonderregiment der Tibetkosaken. Das ist eine Truppe der Extraklasse. Stolz und Zierde der gesamten Asiatischen Reiterei sozusagen. Obwohl so ein Regiment strenggenommen gar nicht zur Kavallerie gehört, weil die dort nicht zu Pferde reiten, sondern auf Elefanten.«
    Mir schien nun, daß ich einen jener begnadeten Schwindelhuber vor mir hatte, die einem mir nichts, dir nichts die abstruseste Geschichte hererzählen und mit einer solchen Fülle überzeugender Details ausstatten können, daß man für den Moment geneigt ist, ihnen Glauben zu schenken.
    »Wie soll einer denn vom Elefanten runter mit dem Säbel hantieren?« wandte ich ein. »Das muß doch anstrengen.«
    »Klar strengt das an, aber es ist unser Ding«, sagte Ignat mit leisem Lächeln und sah mich an. »Du glaubst mir wohl nicht, Herr? Mußt du wissen. Bis ich für den Herrn Baron die richtige Antwort gefunden hatte, wollte ich das alles auch nie glauben. Aber jetzt geht's nicht mehr ums Glauben, ich weiß einfach Bescheid.«
    »Du hast also die richtige Antwort gefunden?«
    Ignat nickte stolz.
    »Deshalb kann ich mich nun als freier Mann im Feld bewegen und muß mich nicht ums Feuer drücken.«
    »Und was hast du dem Baron gesagt?«
    »Was ich gesagt habe, tät dir nichts nützen«, antwortete Ignat. »Es kommt nicht drauf an, was man über die Lippen bringt. Was einem durch den Kopf geht, schon gar nicht.«
    Eine Zeitlang schwiegen wir; Ignat schien nachzudenken.
    Plötzlich hob er den Kopf.
    »Da kommt der Herr Baron. Wir müssen uns, glaub ich, auf Wiedersehen sagen.«
    Ich blickte mich um und sah die hagere Gestalt des Barons auf uns zukommen. Ignat erhob sich; vorsichtshalber tat ich es ihm nach.
    »Was ist«, fragte der Baron, als er heran war, »bist du soweit?«
    »Zu Befehl«, antwortete Ignat, »ich bin bereit.«
    Der Baron steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen echten Ganovenpfiff erschallen. Danach geschah etwas absolut Überraschendes und Unglaubliches.
    Der schmale Streifen aus nicht sehr hohem Buschwerk, der sich hinter unseren Rücken hinzog, entließ einen riesigen weißen Elefanten. »Entließ« ist das richtige Wort, obwohl der Elefant zehnmal höher war als jeder dort befindliche Busch, und ich vermag nicht zu erklären, wie das ging. Nicht, daß er im Moment des Hervortretens klein gewesen und erst näherkommend zum Vielfachen dieser Größe angewachsen wäre. Nicht, daß man dort, wo die Büsche standen, eine unsichtbare Wand hätte vermuten können. Der Elefant trat so groß aus den Büschen, wie er war, und er trat aus den Büschen, diesem winzigen Streifen, hinter dem nicht einmal ein Schaf sich hätte verstecken können.
    Mir widerfuhr noch einmal das gleiche wie einige Minuten zuvor, jenes Gefühl stellte sich ein, das einem suggeriert, man würde im nächsten Moment etwas überaus Bedeutsames gezeigt bekommen – die unter dem Deckmantel der Realität verborgenen Hebel und Bowdenzüge, die alles in Bewegung halten. Doch das Gefühl verging, und der weiße Elefant blieb da; mächtig stand er vor uns.
    Er hatte sechs Stoßzähne, drei zu jeder Seite. Ich vermutete eine Halluzination. Doch mußte ich mir eingestehen, daß die Halluzination, wenn es denn eine war, sich ausnehmend gut in ihre Umgebung einpaßte.
    Ignat ging zu dem Elefanten und erklomm ihn, wobei er die übereinanderstehenden Stoßzähne als Leitersprossen nutzte. Es wirkte behend – wie wenn er zeit seines Lebens nichts anderes getan hätte, als weiße Elefanten mit sechs Stoßzähnen auf ersponnenen Hochplateaus

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